Artgerecht ist nur die Freiheit
Von Julia Brunke
Wir leben in einer Kultur, in der Gewalt abgelehnt wird. Dennoch ist unsere Gesellschaft überaus gewalttätig: gegen Milliarden von Tieren. Doch diese Gewalt ist versteckt: Sie findet hinter verschlossenen Türen statt - damit wir sie nicht sehen. In ihrem neuen Buch Artgerecht ist nur die Freiheit geht Hilal Sezgin der Frage nach, ob wir Tiere für wissenschaftliche Versuche quälen und ob wir sie einsperren, töten und essen dürfen.
Ich habe mich bemüht, dieses Buch sowohl allgemeinverständlich zu schreiben als auch so, dass seine Inhalte mit der fortgeschrittenen akademischen Tierethikdebatte auf Augenhöhe bleiben , erklärt Hilal Sezgin in ihrer Einleitung. So verbindet sie eigene Erlebnisse vom Zusammenleben mit geretteten Tieren auf ihrem Hof in der Lüneburger Heide mit philosophischen und ethischen Argumenten sowie fundiertem Wissen über die industrielle Massentierhaltung. Wussten Sie zum Beispiel, dass in eineinhalb Jahren mehr Tiere geschlachtet werden, als je Menschen in dieser Welt gelebt haben? Und ist uns eigentlich bewusst, dass die Lebewesen, die wir essen, mithilfe einer weltumspannenden Züchtungs-, Pharma- und Futtermittelindustrie hergestellt und industriell getötet werden?
Das System der Tierausbeutung bereitet den Tieren die Hölle auf Erden - und verursacht bei uns ein vages schlechtes Gewissen: Wer sich die grausamen Bilder aus den Mastställen anschaut, weiß genau, warum er oder sie keine Tiere essen mag/kann will; doch wer darauf besteht, Tiere zu essen, weiß genau, warum er sich die Bilder lieber nicht anschaut. Engagiert plädiert Hilal Sezgin dafür, unseren Umgang mit Tieren grundlegend zu überdenken.
Jeder Einzelne kann aus der Komplizenschaft mit dem System der Tierausbeutung aussteigen. Dadurch geht es nicht nur den Tieren besser - sondern auch uns selbst und unserem Gewissen. Außerdem: Wenn wir nicht mehr so enorme Flächen für den Futteranbau einer tierquälerischen Fleischproduktion verbrauchen, könnte die Natur gesunden, unzählige Arten würden zurückkehren.
Wahre Artgerechtigkeit definiert Hilal Sezgin als Gerechtigkeit für das Individuum - entsprechend der in ihm genetisch verankerten Lebensweise seiner Art. Sie hat es mit ihren geretteten Schafen und Hühnern erlebt: Jeder, der einem Tier hinreichend Freiheit lässt, bemerkt rasch, dass sogar die am stärksten verzüchteten Nutztiere Individuen mit Vorlieben und Angewohnheiten ... sind . Die meisten Menschen möchten mit Tieren zusammenleben. In den Großstädten erfreuen sich die Menschen an Tieren, die diesen Lebensraum längst für sich erobert haben: Gänse, Füchse, Hasen und Wildschweine werden als Mitbewohner wahrgenommen.
Am Ende von Artgerecht ist nur die Freiheit steht die Vision einer neuen, einer friedlichen Form des Zusammenlebens von Menschen und Tieren. Und es sind viele Einzelne, die diesen
Bewusstseinswandel anstoßen.
Hilal Sezgin, geb. 1970, studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete danach im Feuilleton der Frankfurter Rundschau.
Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide.
Sie schreibt u.a. für DIE ZEIT und die Süddeutsche Zeitung sowie als Kolumnistin für die Meinungsseite der taz, das Feuilleton der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung.
Hilal Sezgin: Artgerecht ist nur die Freiheit |