BVerfG: Tierschutzstiftungen müssen Jagd dulden
»Naturfreund ist derjenige,
der sich mit allem, was in der Natur lebt, innerlich verbunden weiß, an dem Schicksal der Geschöpfe teilnimmt, ihnen, so viel er kann, aus Leid und Not hilft und es nach Möglichkeit vermeidet, Leben zu schädigen oder zu vernichten.« Albert Schweitzer (1875-1965), Arzt, Philosoph und Pazifist · Friedensnobelpreis 1952 · Bild: Soru Epotok - Fotolia
Von Julia Brunke, Redaktion Freiheit für Tiere
Die Verfassungsbeschwerden von zwei Tierschutzstiftungen aus Bayern und Niedersachsen, welche die Jagd auf ihren Grundstücken aus ethischen Gründen untersagen wollen, blieben ohne Erfolg: Das Bundesverfassungsgericht nahm beide Klagen nicht zur Entscheidung an - sie seien unzulässig . Begründung: Den Tierschutzstiftungen sei mit der Neuregelung des Bundesjagdgesetzes im Jahr 2013 mit 6a keine über die bereits bestehende Duldungspflicht (d.h. Pflicht zur Duldung der Jagd auf ihren Flächen) hinausgehende Beschwer auferlegt worden . Die Verfassungsrichter prüften die Klagen allerdings nicht inhaltlich. Die Stiftungen müssten erst den Rechtsweg ausschöpfen.
Grundstückseigentümer mit Flächen außerhalb geschlossener Ortschaften sind automatisch Mitglied in einer Jagdgenossenschaft und oft wissen sie gar nichts davon. Laut Bundesjagdgesetz sind diese Grundstückseigentümer dazu verpflichtet, die Jagd auf ihrem Besitz zu dulden. Sie müssen also dulden, dass bewaffnete Jäger ihr Grundstück betreten und Wildtiere sowie Katzen und Hunde töten. Sie müssen dulden, dass Jäger auf ihrem Grundstück Hochsitze errichten, Fallen aufstellen, Futterstellen anlegen und Treibjagden abhalten.
Zwangsbejagung verstößt gegen Menschenrechte
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte in Urteilen gegen Frankreich 1999 und gegen Luxemburg 2007 entschieden, dass es gegen die Menschenrechte verstößt, wenn Grundstückseigentümer dazu verpflichtet werden, die Jagd auf ihren Grundstücken zu dulden, obwohl die Jagd ihrer eigenen Überzeugung widerspricht. Deutsche Grundstückseigentümer, welche die Jagd auf ihren Flächen nicht mit ihrem ethischen Überzeugungen vereinbaren konnten, beriefen sich auf diese Urteile und klagten gegen die Zwangsmitgliedschaft in Jagdgenossenschaften durch alle Instanzen bis vor das Bundesverfassungsgericht - ohne Erfolg.
Am 26.6.2012 gab ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte deutschen Grundstückseigentümer Recht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte eine Verletzung von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 (Schutz des Eigentums) zur Europäischen Menschenrechtskonvention fest, wenn ein Grundstückseigentümer die Jagd auf seinem Land dulden muss, obwohl er sie aus ethischen Gründen ablehnt. Der Gerichtshof befand insbesondere, dass diese Verpflichtung Grundstücksbesitzern in Deutschland, welche die Jagd ablehnen, eine unverhältnismäßige Belastung auferlegt. (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 26.6.2012, Herrmann gegen die Bundesrepublik Deutschland, Beschwerdenummer 9300/07)
auf jagdrechtliche Befriedung stellen
Aufgrund des Urteils des höchsten europäischen Gerichts wurde die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, ihre Jagdgesetzgebung entsprechend zu ändern.
Am 6.12.2013 trat die Neuregelung mit dem 6a BJagdG (Bundesjagdgesetz) in Kraft: Grundstückseigentümer können bei der unteren Jagdbehörde einen Antrag stellen, dass ihr Grundstück jagdrechtlich befriedet wird. Dies gilt aber nur für natürliche Personen : so genannte juristische Personen wie Tier- oder Naturschutzvereine oder Stiftungen können das Ruhen der Jagd auf ihren Flächen nicht beantragen - selbst dann nicht, wenn diese Flächen nur deshalb erworben wurde, um Schutzgebiete und Lebensraum für wild lebende Tiere zu schaffen.
Dies stellt aber eine Verletzung von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 (Schutz des Eigentums) zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) dar, denn auch juristische Personen wie Tier- und Naturschutzorganisationen oder Stiftungen haben ein Eigentumsrecht. Außerdem schützt das Recht auf Gewissensfreiheit nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Organisationen und Gruppen. Für eine Ungleichbehandlung zwischen natürlichen und juristischen Personen gibt es also keinen sachlichen Grund.
Tier- oder Naturschutzvereine oder Stiftungen
- so genannte »juristische Personen« können das Ruhen der Jagd auf ihren Flächen nicht beantragen - selbst dann nicht, wenn diese Flächen nur deshalb erworben wurden, um Schutzgebiete und Lebensraum für wild lebende Tiere zu schaffen. Sie müssen dulden, dass Jäger die Biotope betreten und die dort lebenden Tiere tot schießen. Bild: Lunghammer · Fotolia.com
müssen Jagd auf ihren Flächen hinnehmen
Zwei Tierschutzstiftungen legten innerhalb der Jahresfrist am 4.12.2014 Verfassungsbeschwerden ein, weil ihnen nach dem neuen 6 a Bundesjagdgesetz die Möglichkeit einer Befriedung ihrer Grundstücke nicht eröffnet wurde - obwohl sie die Jagd auf Wildtiere gemäß ihrem Stiftungszweck und den entsprechenden Überzeugungen der dahinter stehenden Menschen aus ethischen Gründen ablehnen.
Die Stiftungen rügten, der Gesetzgeber habe dadurch, dass er die Möglichkeit zur Befriedung von Grundstücken in einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk nicht auf juristische Personen erstreckt habe, ihr Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie ihr Recht auf eine ihrem Gewissen entsprechende Ausübung des Eigentumsrechts nach Art. 14 Abs. 1 GG verletzt.
Fast dreieinhalb Jahre mussten die beiden Tierschutzstiftungen auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten.
nicht zur Entscheidung angenommen
Am 2.5.2018 erging der Beschluss: Das Verfassungsgericht in Karlsruhe nahm die Verfassungsbeschwerden der beiden Stiftungen nicht zur Entscheidung an. (Az. 1 BvR 3250/14, 1 BvR 3251/14) Die 1. Kammer des Ersten Senats hat entschieden, die Verfassungsbeschwerden über die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG seien unzulässig .
Die Begründung: Der Gesetzgeber ist mit 6a BJagdG keiner irgendwie gearteten grundrechtlichen Pflicht zum Schutz einer gewissensgeprägten Ausübung des Eigentumsrechts nachgekommen, sondern hat lediglich in einem bestimmten Fall die gesetzlich auferlegte Pflicht zur Duldung der Jagd zugunsten natürlicher Personen beseitigt. Dies sieht 6a BJagdG zwar nicht für juristische Personen vor, ihnen wird mit dieser Regelung jedoch auch keine über die bereits bestehende Duldungspflicht hinausgehende Beschwer auferlegt. (Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 44/2018)
Das heißt doch im Klartext: Während aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das Bundesjagdgesetz für private Grundeigentümer, welche die Jagd ablehnen, geändert wurde, weil ihnen die Verpflichtung zur Duldung der Jagd eine unverhältnismäßige Belastung auferlegte, werde - so der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - Tierschutzstiftungen mit der weiterhin geltenden Pflicht zur Duldung der Jagd auf ihren Flächen keine darüber hinausgehende Beschwer auferlegt .
Die Verfassungsbeschwerden genügten zudem nicht dem Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs: Die Beschwerdeführerinnen hätten einen Antrag auf Befriedung ihrer Grundstücke aus Gewissensgründen stellen können, um nach dessen Ablehnung den Rechtsweg zu beschreiten , so das Bundesverfassungsgericht. Zudem hätten die Fachgerichte hinsichtlich einer Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG der Frage nachgehen müssen, ob die Ablehnung der Jagd auf wildlebende Tiere überhaupt zu den Zielen der juristischen Person gehört. Es wäre weiter zu prüfen gewesen, ob sich eine solche Zielsetzung der juristischen Person auf eine Gewissensüberzeugung zurückführen lässt.
Der Rechtsweg kann noch viele Jahre dauern
Beide Tierschutzstiftungen setzen sich seit vielen Jahren gegen die Jagd auf ihren Flächen ein und hatten bereits 2010 bzw. 2013 Anträge auf das Ruhen der Jagd gestellt. Da die Neuregelung des Bundesjagdgesetzes juristische Personen vom Antragrecht auf jagdrechtliche Befriedung ausgeschlossen hat, entfielen damit die Erfolgsaussichten.
Das Bundesverfassungsgericht verweist nun darauf, die Stiftungen könnten einen Antrag auf Befriedung ihrer Grundstücke nach 6a BJagdG stellen - obwohl für juristische Personen keine Antragsmöglichkeit besteht. Nach Erschöpfung des Rechtswegs könnten sie dann Verfassungsbeschwerde auch mit dem mittelbaren Angriff auf 6a BJagdG erheben.
Bis dahin werden voraussichtlich noch viele Jahre ins Land gehen: Nach Ablehnung des Antrags auf Befriedung müsste zunächst Klage bei den Verwaltungsgerichten erhoben werden. In zweiter Instanz müsste Berufung vor dem Verwaltungsgerichtshof eingelegt werden, die dritte Instanz ist das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Erst dann wäre der Rechtsweg erschöpft und es könnte Beschwerde beim Bundesverfassungs gericht erhoben werden. Vielleicht hätten man dann in fünf oder zehn Jahren ein Urteil... Wenn dann das Verfassungs gericht gegen die Befriedung der Grundstücke von Stiftungen oder Tier- oder Naturschutzverbänden entscheiden würde, wäre der Weg frei zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
in Landesjagdgesetze aufnehmen
Unabhängig vom Bundesjagdgesetz könnten die Landesregierungen durch entsprechende Änderungen der Landesjagdgesetze Stiftungen, Vereinen und Natur- und Tierschutzverbänden die jagdrechtliche Befriedung ihrer Flächen ermöglichen.
Schleswig-Holstein hatte unter Landwirtschaftminister Habeck juristischen Personen aus ethischen Gründen die jagdrechtliche Befriedung ermöglicht. Diese Möglichkeit wurde aber durch die neue Landesregierung am 21.2.2018 wieder gestrichen.
Der BUND fordert aktuell die Befreiung vom Jagdzwang für juristische Personen im Zuge der Änderung des Landesjagdgesetzes in Nordrhein-Westfalen.
Aus naheliegenden Gründen hat die Jagdlobby ein Interesse daran, zu verhindern, dass Tier- und Naturschutzverbände und Stiftungen Flächen aus der Bejagung herausnehmen können. Denn im Unterschied zu Privatpersonen, die Anträge auf jagdrechtliche Befriedung von zwei, drei oder vielleicht 10 Hektar Fläche stellen, handelt es sich bei Stiftungen und Verbänden um deutlich größere Flächen. Im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist dann auch zu lesen, dass zu der Verfassungsbeschwerde der Tierschutzstiftungen nicht nur das für die Jagd zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium Stellung genommen hat, sondern auch der Deutsche Jagdverband, der Bayerische Jagdverband und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer ...
Nur 0,4 % der Deutschen sind Jäger. Für die große Mehrheit der etwa 380.000 Jäger ist die Jagd ein Hobby - es gibt nur etwa 1.000 Berufsjäger in Deutschland. Doch obwohl Jagd und Jäger in der Bevölkerung immer kritischer gesehen werden, ist die Jagdlobby mächtig - und nimmt massiv Einfluss auf die Politik und damit die Gesetzgebung. Tiere haben keine Lobby - und es gibt auch kein wirtschaftliches Interesse, Wildtiere zu schützen. Umso wichtiger ist es, dass immer mehr Menschen sich für unsere Mitgeschöpfe einsetzen und den Tieren eine Stimme geben - auch, indem sie Tierschutzorganisationen, Vereine, Gnadenhöfe und Stiftungen unterstützen.
Quellen:
BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 02. Mai 2018 - 1 BvR 3251/14 - Rn. (1-21) und - 1 BvR 3250/14 - Rn. (1-21),
Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 44/2018 vom 6.6.2018: Unzulässige Verfassungsbeschwerden betreffend jagdrechtliche Befriedungsmöglichkeit für juristische Personen
Jagd-Gegner scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht. Focus online, 6.6.2018
Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Herrmann gegen die Bundesrepublik Deutschland, Beschwerdenummer 9300/07
Initiative Zwangsbejagung ade
www.zwangsbejagung-ade.de