Eine Heimat für gerettete Bären und Wölfe
Die Stiftung für Bären hat in zwei Alternativen Bärenparks - im thüringischen Worbis und im Schwarzwald - für gerettete Bären und Wölfe eine neue Heimat geschaffen. Ehemalige Zirkusbären und Wölfe aus schlechten Haltungen können in groß zügigen Gehegen und in herrlicher Natur zum ersten Mal ein Leben führen, wie es Wildtieren gebührt. Ein Besuch vor Ort macht deutlich, warum diese Tierschutzeinrichtungen nötig und sinnvoll sind - und welche Rolle dabei einem Schmetterling zukommt.
Von Ralf Onzo
Leoni ist eines der Sorgenkinder im Alternativen Wolf- und Bärenpark Schwarzwald. Im hinteren Teil der Anlage 2, längs des Bachs, der die Anlage durchfließt, geht die Bärin auf einem etwa zehn Meter langen Abschnitt auf und ab - stundenlang. An feuchten Stellen drücken sich ihre Zehenballen deutlich in den Untergrund. Vor jeder Zehe gibt es einen Einstich in den Lehm. Die langen, gebogenen Krallen perforieren den Boden. Von der Vegetation, die ringsherum üppig wuchert, ist hier nichts mehr zu sehen. Die hundertfach getretenen Tritte der Bärin haben alles platt gemacht. Nur ein Schritt zur Seite und Leoni könnte sich ein Reich aus 100.000 Quadratmetern Wald, Höhlen und Wasser läufen erschließen. Aber sie tut es nicht.
Bis heute hat Leoni ihre Vergangenheit als Zirkusbärin nicht ganz überwunden , sagt Rüdiger Schmiedel. Der Geschäftsführer der Stiftung für Bären, die den Wolf- und Bärenpark Schwarzwald betreibt, beobachtet, wie Leoni immer wieder in diese stereotype Verhaltensweise verfällt und nichts mit sich anzufangen weiß.
Das Im-Kreis-Gehen ist eine Folge ihres früheren Zirkuslebens , erklärt Schmiedel. Man hatte sie in einen engen Käfigwagen ohne Beschäftigungsmöglichkeiten gesteckt.
Während Schmiedel die Qualen der Zirkusbären beschreibt, flattert ein Zitronenfalter ganz dicht an Leoni vorbei. Sein gelbes Leuchten ist so stark, dass der Falter aus 20 Metern Entfernung gut zu erkennen ist. Und auch Leoni wird auf ihn aufmerksam. Der Falter fliegt mehr oder weniger auf der Stelle, nur ganz langsam legt er die Strecke zurück und lässt so der Bärin eine Chance, ihm zu folgen. Und genau das tut Leoni: Sie schert aus ihrem
eintönigen Rundlauf aus und tapst dem Insekt wie in Gedanken versunken hinterher - bis hinunter zum Bach. Stiftungs-Chef Rüdiger Schmiedel ist begeistert.
So was passiert immer wieder. Die Umweltreize, die hier in der naturnahen Anlage geboten sind, reißen die psychisch gestörten Bären aus ihrer Montonie heraus. Schmetterlinge und andere Tiere, die Brombeeren zum Selbstpflücken, die Möglichkeit zum Graben und Klettern können Leoni helfen, zu einem bärengerechten Leben zurückzufinden.
Im Alternativen Wolf- und Bärenpark Schwarzwald
dürfen die drei endlich ein richtiges Bärenleben führen: im Waldboden graben, Beeren naschen, Holzstümpfe auf der Suche nach Insekten zerlegen, baden, Schlafnester bauen, eine Höhle für die Winterruhe graben. · Bild: Alternativer Wolf- und Bärenpark Schwarzwald
und verhaltensgestörte Bären und Wölfe
Und genau das ist das Ziel der Stiftung für Bären: Sie will konfiszierten Bären aus schlechten Haltungen, von denen es immer noch viel zu viele gibt, in ihren Bärenparks im Schwarzwald und in Worbis/Thüringen ein neues, naturnahes Zuhause schenken. Bären, die sich jahrelang in zu engen Käfigen quälten, dürfen in den beiden Alternativen Bärenparks endlich toben, plantschen und Winterhöhlen graben.
Tierfreunde sollen hier erleben, wie misshandelte, verhaltensgestörte Tiere ein Stück Natürlichkeit zurückgewinnen. Dazu werden in den beiden Parks Führungen und Veranstaltungen durchgeführt. Die Besucher erfahren viel Wissenswertes zum Tier- und Artenschutz von Bären, Wölfen und Luchsen.
Biologische Forschung über das Verhalten von Bären und Wölfen
Die Arbeiten und Strategien der Alternativen Bärenparks wurden von Anfang an auf wissenschaftliche Beine gestellt: Seit der Eröffnung des ersten Alternativen Bärenparks in Worbis 1996 haben Biologen dort 23 Diplom- und Doktorarbeiten zum Verhalten von Bären und Wölfen durchgeführt. Die Stiftung für Bären organisiert außerdem wissenschaftliche Tagungen. So diskutierten 2003 deutsche und Schweizer Tierpark-Experten zum Thema verhaltensgerechte Tieranlagen. 2006 führte die Stiftung ein Kolloquium zum Thema Bär, Luchs und Wolf in ihren Lebensräumen durch. Die Teilnehmer kamen aus Holland, Norwegen, Tschechien, Slowakei, Österreich, Frankreich und aus der Schweiz. Die Stiftung führt ferner Fachberatungen für andere Tierparks und Privathaltungen durch. Über 30 Einrichtungen profitierten bislang von den langjährigen Erfahrungen in der Bären- und Wolfshaltung.
Auch in der Öffentlichkeitsarbeit engagiert sich die Stiftung für Bären. Unter anderem ist sie Herausgeberin des Magazins Bärenspur . Das Journal berichtet über die Schicksale der in den Parks betreuten Tieren, klärt über die Bedrohung von Bär, Wolf und Luchs weltweit auf und wirbt für die Wiederansiedlung dieser Arten. Das Magazin erscheint halbjährlich mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren.
Besuch aus dem Ministerium
Ortstermin: Dr. Cornelie Jäger, die baden-württembergische Landesbeauftragte für Tierschutz, stattet dem Alternativen Bärenpark Schwarzwald in Bad Rippoldsau-Schapbach einen Besuch ab. Beim Gang durch die Anlagen erklärt Rüdiger Schmiedel, was es bedeutet, Tourismus und Tierschutz zu verbinden: Wir wollen das Publikum mit unseren Tieren und Veranstaltungen begeistern, aber wir wollen kein Halligalli, keine Schaufütterungen und keine sonstigen Vorführungen unserer Tiere.
Die Tierschutzbeauftragte stimmt Schmiedel zu: Ja, man muss ein Wildtier als Wildtier respektieren. Und Einrichtungen wie der Alternative Wolf- und Bärenpark Schwarzwald können einen Anstoß für Gespräche zum Tier-, Natur- und Artenschutz sein. In diesem Zusammenhang verweist Cornelie Jäger auf die Entwicklung in den Zoos: Früher ging es den Zoos darum, das Tier als solches auszustellen. Und möglichst viele davon. Heute ist man bemüht, die Tiere in ihren Lebensräumen zu präsentieren. Das ist hier im Bärenpark sehr gut gelungen.
Im Alternativen Wolf- und Bärenpark Schwarzwald
leben drei Wölfe: die Geschwister Anita und Ado (oben im Bild) und ihr Bruder Adi. Ado ist das größte Tier des kleinen Rudels. Dennoch bleibt er vor den Augen der Besucher meist unbemerkt: Auf leisen Pfoten schleicht er umher, um neugierig das Parkgeschehen zu beobachten. Dabei hält er sich meist in der Nähe von Anita auf. Bei Anbruch der Dunkelheit lässt er sich gerne darauf ein, mit seinen Geschwistern ausgelassen zu spielen. · Bild: Günter Heiberger · Alternativer Wolf- und Bärenpark Schwarzwald
Wölfe und Bären halten sich gegenseitig auf Trab
Oberhalb von Anlage 3 gelingt es, durch die dichte Vegetation einen Blick auf die ruhende Wölfin Anita zu bekommen. Für Rüdiger Schmiedel bietet die Sichtung Gelegenheit zu erklären, warum im Park Bären und Wölfe gemeinsam gehalten werden: Alle Bären, bis auf Jurka, stammen aus schlechten Haltungen und hatten in ihrem früheren Leben zu wenig Beschäftigung. Die Wölfe helfen nun, die Bären auf Trapp zu halten, etwa indem sich die Tiere um Futter streiten. Wichtig ist dabei, dass die Tiere genügend Platz haben, um sich dann auch wieder aus dem Weg gehen zu können. Die Fütterungsmethoden sind ein weiteres Thema, für das sich die Tierschutzbeauftragte interessiert. Rüdiger Schmiedel erklärt, dass es darum gehe, die Tiere zu beschäftigen. An verschiedenen Stellen streue man kleinere Futterstücke in die Anlage, um die Tiere zur Futtersuche zu animieren. Auch würden keine festen Fütterungszeiten eingehalten, um so Bedingungen wie in der Natur zu bieten.
Die Besucherin aus dem Ministerium würdigt das aufwändige Konzept und fügt aus eigenem Erfahrungsschatz hinzu: Tier arten, die den ganzen Tag mit Futtersuche beschäftigt sind, sind ja am schwierigsten zu halten. Gibt man die Tagesration auf ein Mal, sind die Tiere zwar satt, aber auch beschäftigungslos.
Etwas weiter, beim Ausblick ins Wolfstal, strahlt Frau Dr. Jäger und meint: Tolles Gelände! Da müssen alle Beteiligten, inklusive sie selbst, lachen, da sie dies im Verlauf der Runde durch den Park nun schon zum dritten Mal gesagt hat.
Jurka
ist die Mutter von Bruno, dem ersten Bären, der 2006, nach mehr als 150 Jahren, nach Deutschland einwanderte und dann tragischerweise erschossen wurde. Jurka und Bruno stammten aus dem italienischen Trentino, wo sie angefüttert wurden und so ihre natürliche Scheu vor Menschen verloren, was zu Konflikten führte. Bruno starb durch die Kugel, Jurka brachte man in ein kleines Gehege im Trentino. Von dort gelangte sie in den Schwarzwald. · Bild: Michael Lörcher · Alternativer Wolf- und Bärenpark Schwarzwald
Hochwasser-Einsatz
Die tollen und naturnahen Lebensräume, die die Bären in den Alternativen Bärenparks vorfinden, haben allerdings auch ihre Tücken. Wo Natur ist, arbeitet auch Natur. So wurde der Bärenpark Worbis im Juni 2013 von einem Hochwasser heimgesucht. Nach tagelangen Regenfällen hatten sich gleich mehrere Wasserquellen geöffnet. Überall drang mit Macht das Wasser aus dem Berg und brachte die Teiche in den Anlagen zum Überlaufen. Ein Teil der Bären freute sich sogar über das viele Wasser - vor allem Pedro, den sie im Bärenpark Badebär nennen.
Doch das Bärenparkteam sieht die Wassermassen auch aus einem anderen Blickwinkel. Tagelang sind die Mitarbeiter nämlich im Einsatz, um Abflüsse, Rinnen und Kanäle freizuhalten. Und dann das: Während der Hochwasserkontrolle in den Sektionen C und D fällt auf, dass die Bären, allen voran Badebär Pedro, zwei riesige Höhlen gegraben haben. Die von Bärin Katja im Winter genutzte Schlafhöhle hat Pedro immens erweitert: über 4 Meter tief, 2 Meter breit und 1,50 Meter in der Höhe. An sich ist das Graben ja genau das, was das Bärenparkteam will: eine sinnvolle, art gerechte Beschäftigung für Bären. Doch aufgrund der drückenden Wassermassen sind die Höhlen akut einsturzgefährdet. Es muss gehandelt werden: Innerhalb weniger Stunden sind Betonmischer, Betonpumpe und kräftige Männer bestellt, die auch sofort Hand anlegen. In Kürze ist die Einsturzgefahr gebannt. Doch die
Maßnahme ist natürlich nicht umsonst: Es entstehen nicht einkalkulierte Kosten von ca. 3.500 Euro.
Der Stiftung für Bären gelingt es, diese und viele weitere Kosten aufzufangen, unter anderem, weil sie auf ein Netz von Freunden, Paten und Spendern bauen kann. Informiert über Homepage-Meldungen und Newsletter, verbreitet sich die Nachricht vom Unglück in kürzester Zeit. Die eingehenden Gelder kommen direkt den Tieren zugute.
Immer wieder kommt es auch zu tollen Spendenaktionen. Frau Margit Keul aus Aßlar etwa verzichtete bei ihrem Geburtstag auf Geschenke und rief stattdessen ihre Gäste dazu auf, Futtereimer zu spenden. 60 Stück für je 10 Euro brachte sie zusammen. 50 Euro kostet die Tagesration eines Bären.
Dass sich Förderer und Besucher den Bärenparks so stark verbunden fühlen, liegt sicherlich auch an den eindrücklichen Veranstaltungen: Alljährlich findet beispielsweise im Bärenpark Worbis ein Indianerfest statt. Vor der Kulisse der Bären- und Wolfswelten wird getanzt, gesungen und getrommelt. Als weitere Attraktionen gibt"s indianische Schnitzereien, verzauberte Mineralien und auch Workshops, zum Beispiel für Flechtarbeiten.
Kehren wir noch einmal in den Wolf- und Bärenpark Schwarzwald zurück. Hier tanzt derzeit kein Indianer. Im Gegenteil: Im hinteren Eck der Anlage 2 ist es außergewöhnlich still. Ein Zaunkönig trällert, aber von Bären und Wölfen ist jetzt am Nach mittag nichts zu sehen und zu hören - auch nichts von Leoni. Aus den Löchern, die Leonis Krallen hinterlassen hatten, sprießt mittlerweile Gras - die Fläche wurde abgesperrt und neu angesät.
Bei der Maßnahme geht es nicht nur darum, den naturnahen Charakter der Anlage zu erhalten, Leoni wird dadurch motiviert, andere Ecken in ihrer riesigen Anlage zu erkunden - und eines Tages - so die Hoffnung - wird die alte Zirkusbärin das monotone Gehen ganz aufgeben, um ein weitgehend normales Bärenleben führen zu können.
Die Alternativen Bärenparks
Der Alternative Bärenpark Worbis in Thüringen und der Alternative Bärenpark Schwarzwald bieten Bären, die aus tierquälerischen Haltungen stammen, ein neues, tiergerechtes Zuhause. Die Stiftung für Bären versteht die Parks deshalb als Tierschutzprojekte. Daher auch die Bezeichnung alternativ . |