Eines der letzten Tabus der Fleischindustrie: DIE BLUTFABRIK
Silbern glänzend, inkognito: Etwa 120 Tanklaster randvoll mit frischem Tierblut fahren Tag für Tag über deutsche Straßen. Wohin? Und warum? Was wird mit dem Blut angestellt? Mira Landwehr entlarvt, was in Blutfabriken passiert und in welchen Produkten - oft unbekannterweise - Blut enthalten ist. Egal, wie man sich ernährt - vegan, vegetarisch oder fleischhaltig: Die Antworten betreffen alle.
Viel ist nicht zu sehen von der Fabrik in Mering südlich von Augsburg. Jeden Tag wird die Firma Sonac von mehreren großen Tankwagen beliefert. »An manch warmem Sommertag ist der Geruch in dieser Gegend unerträglich«, schreibt Mira Landwehr. »Ein Hinweis auf eines der letzten Tabus der Tierkörperverwertungsindustrie: Blut.« Die Firma Sonac verarbeitet allein am Standort Mering pro Jahr 30.000 Tonnen Rinderblut zu 6.000. Tonnen Blutplasma- und Hämoglobinmehl.
Auch, wenn man es normalerweise weder schmecken, riechen noch sehen kann: Tierblut, Blutplasma und Blutmehl ist in mehr Produkten enthalten, als die meisten von uns wissen: In Zigarettenfiltern, Shampoo, Kosmetikprodukten, Rosendünger, Pflanzen- und Holzschutzmitteln, Holzleim, Aktivkohle für Filteranlagen, als Ceresin in Kerzen... Vor allem wird Blutplasma in der Labordiagnostik eingesetzt als Nährmedium für Zellkulturen. Und es wird zur Herstellung von Medikamenten und Impfstoffen verwendet. Die medizinische Forschung nutzt jährlich etwa 800.000 Liter fötales Kälberserum (aus ungeborenen Kälbern bei der Schlachtung schwangerer Kühe).
Dass Haut und Knochen von Rindern und Schweinen als Gelatine in Gummibärchen & Co. enthalten sind, ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass Gelatine auch in Tablettenkapseln, Klebstoffen, Leim und vielen weiteren Produkten steckt. Oder dass Waschmittel und Weichspüler Schlachtfette enthalten. Aus Bindegewebe, Knorpeln und Knochen wird Kollagen für Hautcremes und als Nahrungsergänzungsmittel hergestellt.
Tierische Bestandteile finden sich nahezu überall. Der Grund ist, dass es massenhaft billige Abfälle aus der Fleischindustrie gibt. Das Blut von Säugetieren macht etwa fünf bis zehn Prozent ihres Körpergewichts aus. Und das Blut ist massenhaft in der Fleischindustrie »übrig« (Wer isst heute noch Blutwurst?). »Legt man die deutschen Schlachtzahlen für Rinder (3.000.000), Schweine (47.000.000) und Hühner (Masthühner: 631.000.000, Legehennen: 29.600.000) für das Jahr 2022 zugrunde, kommt man auf ein Gesamtblutvolumen der getöteten Tiere von fast 380 Millionen Litern. Das ist mehr als eine Million Liter täglich«, hat Mira Landwehr ausgerechnet.
Weitere Abfälle im Schlachthof sind Knochen, Hufe, Klauen, Häute und andere »tierischen Nebenprodukte«. Diese kommen in Tierkörperbeseitigungsanlagen. K1-Material landet vor allem als Zusatzbrennstoff in Kohlekraftwerken, Kalk- und Zementfabriken, denn Tiermehle besitzen einen ähnlichen Heizwert wie Braunkohle, erfahren wir in »Die Blutfabrik«. Tierfett wird in der chemischen Industrie genutzt und steckt in Biodiesel.
»Schlachtkörper, Rohstoffe, verarbeitete tierische Proteine - auch die Sprache unterdrückt den Gedanken, dass es sich einmal um einzigartige Lebewesen gehandelt hat«, schreibt Mira Landwehr. Dabei gebe es für vieles, was heute noch aus Fleisch, Muskeln, Knochen, Haut, Haaren und Körperflüssigkeiten von Tieren hergestellt wird, Alternativen, die ohne Ausbeutung und Tötung von »Nutztieren« auskommen und weniger Umwelt- und Klimaschäden anrichten. »Eine Gesellschaft allerdings, die alles Lebendige mit Haut und Haar der Verwertungslogik unterordnet, hat sich mit der Blutfabrik eine Stätte geschaffen, in der das Wesen der Produktion besonders offensichtlich ist - wenngleich unter Ausschluss der Öffentlichkeit.«