Gestatten: Biber. Eine außergewöhnliche Freundschaft mit einer wildlebenden Biberfamilie
Schwarze Knopfaugen, beeindruckende Schneidezähne, großer Paddelschwanz, Stupsnase und dichter Pelz: Biber sind entzückende Tiere, und obendrein schlau, empathisch, kommunikativ, verspielt - und eigentlich sehr scheu. Als Bettina und Christian Kutschenreiter im Jahr 2003 beim Fotografieren an einem Fluss in Oberbayern auf eine Biberfamilie treffen, ist das der Beginn einer außergewöhnlichen Freundschaft, die bis heute anhält. Die Biber lassen die beiden Tierfreunde nach und nach an ihrem Leben teilhaben und suchen schließlich sogar bewusst ihre Nähe. Und doch bleiben sie zugleich wild lebende Tiere, die sich ihre natürliche Scheu vor anderen Menschen bewahrt haben. Doch das Vertrauen zu den Kutschenreiters geben die Biber seitdem jedes Jahr an ihre Jungtiere weiter. Mittlerweile sind Bettina und Christian Kutschenreiter seit über zwanzig Jahren ein fester Bestandteil der Biberfamilie und haben die ersten beiden Lebensjahre von mittlerweile 27 Jungtieren miterlebt. Jetzt haben die beiden ein Buch über ihre Erlebnisse mit den Bibern geschrieben - mit vielen wunderschönen und sicher einzigartigen Fotos.
»Seit mehr als zwanzig Jahren beschäftigen wir uns mit dem Thema Biber. Eine lange Zeit, in der die Faszination immer weiter gewachsen ist«, erzählen die beiden Naturfotografen zu Beginn ihres Buches. »Beruflich haben wir eigentlich nichts mit Bibern zu tun. Wir arbeiten beide in München, pendeln also jeden Tag zwischen unserer Heimat im bayerischen Voralpengebiet und München hin und her.« Doch nach der Arbeit verbringen Bettina und Christian Kutschenreiter seit dem Jahr 2003 jeden Abend - unterbrochen von einigen Reisen - mit ihrer Biberfamilie am Fluss. »Wir möchten keine Sekunde mit diesen Tieren missen und sind froh, dass wir ihnen einen so großen Teil nicht nur unserer Zeit, sondern unseres Lebens gewidmet haben.«
Bettina Kutschenreiter und Christian Kutschenreiter, beide 1974 geboren, entdeckten 2002 die Naturfotografie für sich. Seit ihrer Begegnung mit einer frei lebenden Biberfamilie 2003 und der daraus entstandenen Freundschaft widmen sie sich besonders dem Thema Biber. Ihre Foto- und Filmarbeiten werden in Vorträgen gezeigt und in Zeitschriften, Magazinen, Büchern und im Fernsehen veröffentlicht. Die Kutschenreiters leben im Voralpenland. Neben den Bibern setzen sich die beiden aktiv für den Schutz von Fledermäusen ein und unterstützen die Fledermaus Nothilfe-Station der Wildtierhilfe Amerang e. V. |
Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Freundschaft?
»Es begann, wie so vieles im Leben, mit einem Zufall«, erzählt Christian Kutschenreiter. »Es war Juni, und ich wollte eigentlich einen Eisvogel fotografieren.« Nach der Arbeit lief der Naturfotograf durch ein Wäldchen hinter seinem Haus bis zu einem abgelegenen Altwasserarm am Fluss, wo er sich mit seiner Kamera auf die Lauer legte. Als er tatsächlich einen Eisvogel fotografiert hatte, wurde es bereits dunkel und er packte seine Kamera ein. Plötzlich hörte er ein lautes Klatschen hinter sich und erschrak gewaltig - bis er die Ursache des Geräusches entdeckte: Eine Bibermutter schwamm nur zwei Meter vom Ufer entfernt mit drei Jungtieren davon. »Ich war absolut überwältigt«, erinnert sich Christian Kutschenreiter. »Noch nie war ich einer Biberfamilie so nahe gekommen. Sofort rief ich meine Frau Tina an und erzählte ihr von der zufälligen Begegnung. Noch am selben Abend beschlossen wir, ein Biberprojekt zu starten. Wir wollten unbedingt mehr über diese wunderbaren Tiere in Erfahrung bringen und natürlich auch versuchen, diese zu fotografieren.«
Bis zum ersten Kontakt aus der Nähe sollte es über zwei Jahre dauern ...
20 Jahre später haben Bettina und Christian Kutschenreiter mehr als nur ein Biberprojekt - sie haben eine Biberfamilie. Doch aller Anfang war schwer: Die Kutschenreiters wussten damals kaum etwas über Biber. Sie begannen zu recherchieren und sich zu informieren, denn sie wollten unbedingt mehr über das Verhalten und die Lebensweise der Tiere in Erfahrung bringen. Und sie begannen mit einer tagelangen Spurensuche in dem Gebiet, wo Christian die Biber zum ersten Mal begegnet waren. Sie entdeckten einige sanduhrförmig angenagte und gefällte Weiden und auch handtellergroße Fußabdrücke im Schlamm, aber nirgends eine Biberburg oder einen Biberdamm. »Wir entschieden uns, den Platz meiner ersten Begegnung mit den Bibern als Startpunkt auszuwählen«, erzählt der Naturfotograf. »Damals hatten wir keine Ahnung, wie schwierig und langwierig das Unterfangen werden würde bis zu den ersten wirklich brauchbaren Biberfotos.«
Fast jeden Abend waren die Kutschenreiters mit Fernglas und Fotoapparat am Fluss. Doch ihr Versuch, die Biberfamilie zu beobachten, schien keine Aussicht auf Erfolg zu haben. »Zu Anfang (und damit sind nicht Tage oder Wochen gemeint, sondern Monate und Jahre) durften wir uns glücklich schätzen, wenn wir im letzten Abendlicht einen schemenhaften Blick auf einen in 30 Metern Entfernung platschenden Biber erhaschen konnten«, schreiben die beiden in ihrem Buch. Trotzdem ließen sie sich nicht beirren und der abendliche Besuch bei den Bibern wurde zur Gewohnheit, auch wenn es kaum Fortschritte gab.
Im Laufe der Zeit probierten die Kutschenreiters alles Mögliche aus, um einen Kontakt zu den scheuen Tieren herzustellen - ohne Erfolg. »Na gut, dachten wir uns, Menschen reden mit allen möglichen Haustieren. Warum also sollten wir nicht auch mit „unseren“ Bibern reden?« Und tatsächlich: »Allmählich reagierten sie etwas zutraulicher, und wir konnten sie öfter kurz beobachten. Offenbar hatten sie inzwischen den Eindruck gewonnen, dass von uns keine Gefahr ausgeht.« Dennoch näherten sich die Biber kaum einmal auf weniger als 10 bis 15 Meter und tauchten nur an den Naturfreunden vorbei. Es sollte über ein Jahr dauern, bis die Biberfamilie in der Dämmerung nicht nur vorbeitauchte, sondern vorbeischwamm.
Bettina und Christian Kutschenreiter wurde bald klar, welche entscheidende Rolle das Muttertier spielte. »Gelegentlich wurden wir von den Jungtieren aus der Ferne neugierig beäugt, was uns natürlich sehr freute. Aber die Vorsicht und das Misstrauen der Mutter uns gegenüber verhinderten einen näheren Kontakt.«
Der Durchbruch
Im Herbst des zweiten Jahres stellten die Kutschenreiters fest, dass das alte Muttertier, das sie liebevoll »Mutti« genannt hatten, verschwunden war. Sie hofften wochenlang auf ein Wiedersehen, mussten dann aber zu dem Schluss kommen, dass das Oberhaupt der Biberfamilie gestorben war.
Im drauffolgenden Januar und Februar, zur Paarungszeit der Biber, beobachteten sie eine Nachfolgerin als Familienoberhaupt, die jünger, neugieriger und den beiden Tierfreunden gegenüber deutlich aufgeschlossener war. »Bis zum Frühsommer gelang es uns, wesentlich mehr Vertrauen aufzubauen. Einzelne Biber näherten sich uns bis auf wenige Meter; Blitz, Fotoapparat und langsame Bewegungen von uns wurden ohne jede Reaktion toleriert. Endlich gelangen uns auch die ersten wirklich tollen Biberfotos.«
Die Kutschenreiters hatten schon bemerkt, dass die junge Biber-Chefin trächtig war. Eines Abends im Juni geschah plötzlich das, worauf Bettina und Christian so lange gehofft hatten: Zu ihrer großen Überraschung erschien plötzlich ein winziger Biber direkt vor ihnen. »Wir saßen da wie versteinert, wagten kaum zu blinzeln und harrten der Dinge, die nun passieren würden. Der Knirps hatte uns natürlich entdeckt, kam immer näher und „pirschte“ sich minutenlang Zentimeter für Zentimeter in Zeitlupe an uns heran. Es war offensichtlich, dass er uns nicht so recht traute; unzählige Male zögerte er, aber die Neugier überwog. Schließlich beschnupperte er vorsichtig Tinas Bergstiefel, knabberte diesen ganz sachte an, machte einen kleinen Sprung mit einer 180-Grad-Kehrtwende, flüchtete dann sogleich ins Wasser und verschwand. Was für ein Erlebnis, was für eine Freude! Wir konnten unser Glück gar nicht fassen.« Der kleine Biber machte am selben Abend noch mehrere Annäherungsversuche und setzte sich schließlich ins seichte Wasser und beobachtete die beiden Menschen am Ufer.
In den drauffolgenden Wochen wurden auch die anderen Familienmitglieder mutiger und sie gewannen von Tag zu Tag mehr Vertrauen: »Sie schwammen plötzlich mit Weidenästen zu uns, setzten sich direkt vor uns ans Ufer und fraßen diese in aller Ruhe, als wären wir gar nicht da«, erinnern sich die Kutschenreiters.
Die Chefin der Biberfamilie nimmt zum ersten Mal Kontakt auf
Auf einmal näherte sich die Familienchefin. »Sie kam immer näher und begann, eine Armeslänge von uns entfernt, störende Wurzeln abzubeißen. Dabei ließ sie uns nicht aus den Augen, starrte uns förmlich an.« Die Tierfreunde wussten nicht, wie sie die Situation einschätzen sollten. Wollte die Bibermutter ihre Jungen verteidigen? Würde sie angreifen?
Ein paar Tage später kletterte das Muttertier entschlossen die Uferböschung hoch, stapfte langsam, aber zielstrebig auf Bettina Kutschenreiter zu und stellte sich dann direkt vor ihr auf. »Stellen Sie sich das vor: Sie sitzen auf dem Boden, der Biber watschelt auf Sie zu, setzt sich direkt vor Ihnen ebenfalls auf den Boden, macht unverhofft Männchen, ist plötzlich so groß wie Sie selbst, schaut Ihnen direkt in die Augen, das Maul ist halb geöffnet, die scharfen Zähne kommen bedrohlich nahe, der Kopf ist so groß wie der eines Schäferhundes, und er fängt an, Sie intensiv zu beschnüffeln, weil er wissen will, mit wem er es zu tun hat.« Bettina und Christian vermieden jede Bewegung - und sie schwitzten gewaltig. Schließlich drehte sich die Bibermutter um, ging zurück ins Wasser, tauchte ab und verschwand.
»Heute wissen wir: Die Situation war vollkommen harmlos, das Weibchen hatte überhaupt keine bösen Absichten, sie war nur neugierig«, erklären die Kutschenreiters. »Aber natürlich hatte sie uns mit ihrem Verhalten und der direkten Art der Kontaktaufnahme völlig überrumpelt. Von da an ging alles sehr rasch. Sie wurde schneller zutraulich, als uns manchmal lieb war. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich unsere Aufregung und Nervosität gelegt hatte. Aber dieses Weibchen hat uns tief und nachhaltig beeindruckt.«
Zur großen Freude von Bettina und Christian wurde der Treffpunkt am Ufer von den kleinen Bibern zum Spielplatz auserkoren. Fast jeden Tag kamen die Biberkinder, manchmal auch mit ihren älteren Geschwistern. Sie fühlten sich in der Nähe der Tierfreunde offensichtlich wohl und suchten immer öfter den direkten Kontakt.
So wuchs das gegenseitige Vertrauen immer mehr. Wenn die kleinen Biber satt waren, fingen sie sogar gelegentlich an, sich selbst oder einen der anderen direkt neben den beiden Menschen zu putzen. »Dass unsere Beziehung jemals so weit gehen würde, hätten wir uns nie träumen lassen. Jetzt waren wir endlich in der Lage, einzigartige Erfahrungen und Erlebnisse zu sammeln, von den Bildern ganz zu schweigen.«
Ab jetzt war nichts mehr vor den kleine Bibern sicher: »Nicht nur, dass wir ständig irgendwelche schmutzig nassen Nasen- und Pfotenabdrücke auf den Linsen oder Kameras hatten und mit dem Putzen kaum mehr hinterherkamen - auch die Sonnenblenden wurden gerne mal angeknabbert. So statteten wir alle Objektive mit Schutzfiltern als Verschleißartikel aus. Regelmäßig mussten wir aber auch die Ausrüstung in Sicherheit bringen, weil wir der Lage sonst nicht mehr Herr wurden.«
Und nicht nur die Ausrüstung wurde von den neugierigen und verspielten Biberkindern beschnüffelt, untersucht und angeknabbert: auch Bettina und Christian wurden immer wieder ausführlich inspiziert. »Am meisten litten darunter Schuhbänder, Handschuhe, Jacken und Hosen. Und mit zunehmendem Alter der Jungbiber wird dann aus dem Knabbern auch mal ein Durchlöchern.« Schon längst verzichteten die Kutschenreiters auf teure Outdoor-Bekleidung.
In diesem Sommer wurde das Kabel einer Unterwasserkamera durchgebissen, die Kamera und der Recorder liefen mit Wasser voll - ein Schaden von etwa 500 Euro. Daraufhin wurden alle Unterwassergeräte bibersicher und bissfest gemacht, die Kabel bekamen Stahl-Bissschutzmänteln.
Dann war auf einmal eine teure Unterwasserkamera, die eigentlich durch eine 10-Kilo-Hantelscheibe gesichert wurde, verschwunden: Die Kutschenreiters fanden sie nach langer Suche auf der etwa 20 Meter entfernten Biberburg. Die Biber konnten doch nicht ernsthaft eine schwere Kamera plus 10-Kilo-Hantelscheibe transportiert haben? Doch die Sichtung des Filmmaterials bewies das Gegenteil, berichtet Christian Kutschenreiter: »Ein großer Biber war beim Tauchen gegen meine Kamera gestoßen. Danach war minutenlang außer Schlammwolken und einem schemenhaften dunklen Tier im trüben Wasser nicht viel zu erkennen. Plötzlich war die Kamera dann außerhalb des Wassers, und ich konnte einen unserer erwachsenen Biber als Täter überführen. Schieben konnte er die Ausrüstung nicht, dazu war sie zu schwer. Also hob er die Hantelscheibe inklusive Kamera mit seinen Vorderpfoten hoch, stellte sich auf die Hinterbeine und wuchtete so die Ausrüstung immer wieder ein paar Zentimeter weiter, raus aus dem Wasser, auf die Burg. Ich hätte so etwas niemals für möglich gehalten.«
Die Biber nehmen Bettina und Christian Kutschenreiter als Familienmitglieder auf
Durch die täglichen oft mehrstündigen Besuche am Fluss wurden Bettina und Christian schließlich von »ihren Bibern« als Familienmitglieder aufgenommen. Seitdem gewähren ihnen die Biber einzigartige Einblicke in ihr Familien- und Sozialleben, ohne sich durch die Anwesenheit der beiden Tierfreunde gestört zu fühlen. »Wir erleben mittlerweile das dritte Weibchen sowie das zweite (uns bekannte) Männchen, und wir durften die ersten beiden Lebensjahre von mittlerweile 27 Jungtieren miterleben.«
Die Biberfamilie lebt frei und in der Wildnis. »Es handelt sich weder um eine Domestizierung noch um Handaufzucht, Gehege oder gar Gefangenschaft. Sie kommen und gehen, wann immer sie wollen«, erklären die Kutschenreiters. »Umso erstaunlicher, dass die Tiere uns so viel Vertrauen schenken. Das ist der schönste Lohn für unsere Mühe.«
Neben ihren ganz normalen Berufen in der Landeshauptstadt München ist es verständlicherweise nicht immer ganz einfach, den regelmäßigen Kontakt zu den Bibern zeitlich zu organisieren. Doch: »Spätestens, wenn sich so ein Kerlchen wieder an uns ankuschelt, sich genüsslich streicheln lässt oder im Gegenzug versucht, unseren kläglichen „Restpelz“ zu pflegen, wenn wir nach einer Pause unserer Besuche lautstark fiepend begrüßt werden, wird uns wieder bewusst, wie außergewöhnlich und kostbar diese Freundschaft ist.«
Biberwissen aus erster Hand
In ihrem Buch »Gestatten. Biber« vermitteln uns die beiden Biberexperten Wissen über Biber aus erster Hand. Und dies ist dringend nötig! Denn obwohl Biber dem Naturschutzrecht unterliegen und zu den streng geschützten Arten zählen, sind wir Menschen mit unseren Vorurteilen ihre größte Bedrohung.
»Den einschlägigen Interessenverbänden der Land-, Forst- und Jagdwirtschaft ist es leider mit vielen Veröffentlichungen und Stellungnahmen zum Thema Biber gelungen, den größten Landschaftsgestalter unserer Heimat völlig zu Unrecht in ein negatives Licht zu rücken. Gebetsmühlenartig werden Forderungen nach „Entschädigung“, „Abschuss“ und „Entnahme“ (ein verharmlosendes Wort für das Töten der Tiere) gestellt.«
Um den Bibern eine Stimme zu geben, gehen Bettina und Christian Kutschenreiter an die Öffentlichkeit. Mit ihren Vorträgen und Veröffentlichungen versuchen sie seit Jahren, aufzuklären und zu zeigen, welch liebenswerte Geschöpfe Biber sind - und welch wichtige Aufgabe sie in der Natur haben. Nun hoffen die beiden Autoren, mit ihrem Buch noch mehr Menschen zu erreichen: »Wir möchten Sie in die Welt eines der wohl faszinierendsten Tiere unserer Heimat entführen. Hoffentlich springt ein kleiner Funke unserer Begeisterung auf Sie über.«
Warum dieses Buch über Biber so wichtig ist
Von Prof. Dr. Josef H. Reichholf
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