Helmut F. Kaplan: Tierrechte und Menschenrechte
Wir brauchen für den Umgang mit Tieren keine neue Moral. |
Buchvorstellung von Julia Brunke, Redaktion FREIHEIT FÜR TIERE
Der Philosoph Dr. Helmut F. Kaplan plädiert dafür, dass wir keine neue Moral im Umgang mit Tieren brauchen. Wir müssten stattdessen nur aufhören, Tiere von unserer Moral auszuschließen. So, wie es die Goldene Regel ausdrückt, die nach seiner Überzeugung auch für unseren Umgang mit Tieren gilt: »Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!« Sein Buch »Tierrechte und Menschenrechte« hat das Ziel, für eigenständige, individuelle Rechte von Tieren zu sensibilisieren, für Tierrechte analog zu Menschenrechten. Denn: »Tiere haben, wie Menschen, vielfältige Interessen und, wie Menschen, einen Anspruch, ein Recht, ein Leben gemäß diesen Interessen zu führen.«
Und genau das ist der Unterschied zwischen »Tierrechten« und »Tierschutz«:
»Tierschutz« ist, ausgesetzte Hunde und Katzen in Tierheimen aufzupäppeln und beim Tierheimfest andere Tiere - wie Kälbchen oder Schweine - zu grillen oder in Form von Bratwurst zu essen.
»Tierschutz« ist, die Haltung so genannter »Nutztiere« etwas »humaner« zu gestalten. Fleischpackungen in Discountern sind sogar immer öfter mit angeblichen »Tierwohl-Gütesiegeln« versehen - dabei liegen die »Standards« dafür kaum über den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanforderungen (etwas mehr Platz, etwas weniger Antibiotika-Einsatz...). Und abgesehen davon, dass auch Bio-Fleisch überwiegend aus Massentierhaltung stammt, werden auch »Bio-Tiere«nicht zu Tode gestreichelt. Dr. Helmut Kaplan ist überzeugt: »Eine "Humanisierung" etwa der Schlachtung ist in Wirklichkeit genauso ein Unding wie eine "Humanisierung" von Sklaverei oder Folter oder die Zulassung von "sanfter" Vergewaltigung.«
Tierschutz ist: Wir sorgen dafür, dass es unseren
Haustieren gut geht und essen »Nutz«tiere. Fleischpackungen in Discountern sind mit angeblichen »Tierwohl-Gütesiegeln« versehen - dabei liegen die »Standards« dafür kaum über den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanforderungen. Tierrecht ist: Jedes Tier hat ein Recht auf Leben und das Recht, von Leiden verschont zu werden. · Bild: BUND
Tiere haben Rechte
Die Tierrechtsbewegung entstand in den 1970er Jahren in den angelsächsischen Ländern und entwickelte sich Ende der 1980er Jahre auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz. »1989 hielt Peter Singer, der als Begründer der Tierrechtsphilosophie und -bewegung gilt, an der Universität Salzburg zwei Vorträge, die ich einleitete bzw. moderierte«, erinnert sich Dr. Helmut Kaplan. Sein Buch »Philosophie des Vegetarismus: kritische Würdigung und Weiterführung von Peter Singers Ansatz« aus dem Jahr 1988 war vermutlich die erste deutschsprachige Arbeit zum Thema Tierrechte. Und sein rororo-Taschenbuch »Leichenschmaus: Ethische Gründe für eine vegetarische Ernährung« (erschienen 1993) trug wesentlich zur Verbreitung der Tierrechtsphilosophie im deutschen Sprachraum bei und wurde breit diskutiert. Aber natürlich wurden Tierrechte - als eigenständige individuelle Rechte der Tiere - auch damals mehrheitlich als »zu extrem «abgelehnt und mehrheitlich eine Tierschutz -Haltung vertreten.
Tiere sind wie wir leidensfähige Wesen - und haben daher wie wir das Recht, von Leiden verschont zu werden
»Diejenigen, die Tierrechte befürworten, betonen die Ähnlichkeiten zwischen Menschen und Tieren. Diejenigen, die Tieren keine eigenen Rechte zugestehen möchten, verweisen auf die vielen Unterschiede zwischen Menschen und Tieren«, schreibt Helmut Kaplan. So groß und zahlreich diese Unterschiede - je nach Perspektive und Abstraktionsniveau - aber auch immer sein mögen, moralisch entscheidend ist einzig und allein diese Gemeinsamkeit zwischen Menschen und Tieren: Tiere sind wie wir leidensfähige Wesen, die nichts so scheuen, wie leiden zu müssen. Was auch immer Menschen können mögen, wozu Tiere nicht imstande sind - warum um alles in der Welt sollen wir sie deshalb quälen dürfen!
Der Tierrechtsphilosoph fragt, warum man Wesen lebenslang einsperren dürfe, bloß weil sie zum Beispiel keine mathematischen Gleichungen lösen können? »Tiere sind wie wir leidensfähige Wesen und haben ein immenses Interesse, nicht zu leiden. Deshalb haben sie wie wir das Recht, vom Leiden verschont zu werden.«
Die Diskriminierung von Tieren ist aus moralischer Sicht ebenso unhaltbar wie Rassismus oder Diskriminierung von Frauen
Als nach dem finsteren Mittelalter das Zeitalter der Aufklärung folgte, begannen die Menschen zu erkennen, das allen Menschen die gleichen Rechte zustehen - egal, welcher Nation sie angehören, welche Hautfarbe sie haben, ob sie Männer oder Frauen sind.
»Wir haben eingesehen, dass Rassismus und Sexismus moralisch willkürliche Diskriminierungen sind, weil Rasse und Geschlecht moralisch unwesentliche Merkmale sind«, so Dr. Helmut F. Kaplan. Der nächste konsequente Schritt besteht darin, zu erkennen, dass nicht nur die Rassen- und Geschlechtszugehörigkeit moralisch bedeutungslos sind, sondern auch die Artzugehörigkeit. Und er verweist auf den englischen Philosophen Jeremy Bentham, der bereits vor über 200 Jahren bemerkte: »Die Frage ist nicht: Können sie denken? Oder: können sie sprechen?, sondern: können sie leiden?«
Die Diskriminierung aufgrund der Art oder Spezies sei aus moralischer Sicht ebenso willkürlich, falsch und unhaltbar wie die Diskriminierung aufgrund von Rasse und Geschlecht, so Dr. Helmut F. Kaplan: »Der Rassist sagt: "Weil du eine schwarze Haut hast, darf ich dich als Sklaven halten." Der Sexist sagt: "Weil du eine Frau bist, darfst du nicht zur Wahl gehen." Und der Speziesist sagt: "Weil du ein Tier bist, kann ich dich lebenslang in Zoos sperren, mit dir grausame Experimente durchführen und dich umbringen und aufessen."« Er kommt zu dem Schluss: »Rassismus, Sexismus und Speziesismus befinden sich logisch und ethisch auf der gleichen Ebene.«
Dr. Helmut F. Kaplan führt in seinem Buch aus, kein vernünftiger Mensch behaupte, dass Tiere und Menschen in einem faktischen Sinne gleich wären: Natürlich sind Menschen und Tiere verschieden - so wie auch Menschen untereinander verschieden sind. Menschen und Tiere haben, wie die Menschen untereinander, unterschiedliche Interessen. Deshalb verlange auch niemand ernsthaft, dass Menschen und Tiere gleich behandelt werden sollten. So bräuchten Tiere zum Beispiel im Unterschied zu Menschen kein Recht auf Religionsfreiheit - so wie Männer im Unterschied zu Frauen keinen Schwangerschaftsurlaub brauchen, weil sie nicht schwanger werden können.
Das moralische Gleichheitsprinzip ist eigentlich ganz einfach: »Wo Menschen und Tiere ähnliche Interessen haben, da sollen diese ähnlichen Interessen auch gleich berücksichtigt, moralisch gleich ernst genommen werden.« Und dies betrifft ganz besonders die Leidensfähigkeit von Tieren: Das Interesse, nicht zu leiden, müsse bei Menschen und Tieren gleich berücksichtigt werden. Und so wie Menschen ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit haben, sollte dies Tieren ebenso zustehen - und nicht willkürlich aufgrund der Artzugehörigkeit eingeschränkt oder aufgehoben sein.
Dies sei natürlich ein langer Prozess. Doch der Tierrechtsphilosoph gibt zu bedenken: »In den USA wurde die Sklaverei erst 1865 abgeschafft. In der Schweiz wurde das Frauenwahlrecht auf Bundesebene erst 1971 eingeführt. Die Befreiung der Tiere hat eben erst begonnen, aber die Tendenz in der Moralentwicklung ist unumkehrbar.«
Aus nachvollziehbar begründeten Menschenrechten folgen Tierrechte
Menschenrechten wird berechtigterweise eine enorme moralische und politische Bedeutung beigemessen. Der Zweck von Menschenrechten ist es, den Menschen ein Leben gemäß ihren Fähigkeiten, Bedürfnissen und Interessen als Personen zu ermöglichen. Der Philosoph Dr. Helmut F. Kaplan plädiert in seinem aktuellen Buch Menschenrechte und Tierrechte dafür: Wer solche allgemein nachvollziehbar begründeten Menschenrechte befürwortet, muss konsequenterweise auch Tierrechte befürworten, weil auch viele Tiere Personen sind. Denn viele Tiere haben die Fähigkeiten, Bedürfnisse und Interessen von Personen - wie wir Menschen auch.
Im Laufe der Geschichte fand eine stetige Ausdehnung der Sphäre der moralisch zu Berücksichtigenden statt. Allen Menschen kommen die gleichen Rechte zu, unabhängig von Rasse oder Hautfarbe, ob Mann oder Frau, ob arm oder reich, unabhängig von Religion, politischer oder sonstiger Anschauung.
Menschen sind sich ihrer selbst bewusste und autonome Wesen, also Personen. Die moderne Verhaltensforschung zeigt: Auch viele Tiere sind Personen. Dementsprechend weisen sie Fähigkeiten, Bedürfnisse und Interessen auf, welche mit denen von Menschen vergleichbar sind.
Im Hinblick auf die inhaltliche Konkretisierung von Tierrechten bietet die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wertvolle Orientierungshilfe: Jeder hat das Recht auf Leben und Freiheit. (Artikel 3) Niemand darf in Sklaverei gehalten werden (Artikel 4) Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden. (Artikel 5)
So wie Menschen leidensfähige Wesen sind, sind auch Tiere leidensfähige Wesen. So wie die Menschenrechte Menschen vor Leiden wie gewaltsamem Tod, Folter oder Sklaverei schützen sollen, steht auch Tieren das Recht auf Leben, Freiheit und Schutz vor grausamer und erniedrigender Behandlung zu.