Igel in Gefahr
Von Dr. Antje Oldenburg
Wer an den ersten lauen Frühlingsabenden still im Garten sitzt und den Geräuschen der Nacht lauscht, kann sie keckern und fauchen oder schmatzend und schnaufend im Gebüsch rascheln hören: Die Igel haben nach rund fünfmonatigem Winterschlaf ihre geschützten Winterquartiere verlassen und durchstreifen auf der Suche nach Insekten wie Laufkäfern, Ohrwürmern, Maden und Raupen ihr Revier. Doch die liebenswerten Stacheltiere sind in Gefahr. Durch den zunehmenden Verlust ihrer ursprünglichen Habitate - eine reich gegliederte, vielfältige Feldflur mit Hecken, Gehölzen, Wegsäumen, Staudendickichten und artenreichen Magerwiesen - geht die Zahl der Igel seit Jahren zurück. Statt in der freien Natur leben Igel heute in menschlichen Siedlungen, vorzugsweise in naturnahen Gärten, Parkanlagen und Streuobstwiesen. Hier macht ihnen vor allem die Zerschneidung ihres Lebensraumes durch ein dichtes Straßennetz zu schaffen: Alljährlich werden etwa eine halbe Million Igel von Autos überrollt. Eine weitere Bedrohung stellt der ungebrochene Trend zu öden Schottergärten und kurz gemähtem Einheitsgrün dar, in denen Igel weder ausreichend Nahrung noch geeignete Schlaf- und Nestplätze finden. Hinzu kommt: Mit dem stetig steigenden Einsatz von Motorsensen, Mährobotern und Rasentrimmern sind die beliebten Insektenfresser einer weiteren Gefahrenquelle ausgesetzt.
Entgegen landläufiger Meinung ernähren sich Igel nicht von Mäusen, Vogeleiern und heruntergefallenem Obst, sondern hauptsächlich von Käfern, Ohrwürmern, Larven, Maden, Tausendfüßlern, Würmern und Schnecken. Da die zur Lieblingsspeise der Igel zählenden Insekten und Gliederfüßler in ausgeräumten Landschaften und monotonen Gärten viel seltener vorkommen als in naturnahen, pestizidfreien Lebensräumen, reduziert sich das Nahrungsspektrum für Igel hauptsächlich auf Würmer und Schnecken - die Zwischenwirte ihrer Innenparasiten.
Igelstationen haben alle Hände voll zu tun
Dies hat zur Folge, dass Igelstationen in den Sommermonaten bis zum beginnenden Winterschlaf immer häufiger Igel aufnehmen, die unter massivem Befall an Lungenwürmern, Darmhaarwürmern und Darmsaugwürmern leiden. Die winzigen Fadenwürmer werden von so genannten Häuschenschnecken übertragen und können bei Igeln zu Husten, Atemnot, Apathie und Gewichtsverlust und im schlimmsten Fall sogar zum Tode führen.
Mit dem stetig steigenden Gebrauch von motorisierten Gartengeräten wie Freischneidern, Fadenmähern, Motorsensen und Mährobotern sind die beliebten Insektenfresser einer weiteren Gefahrenquelle ausgesetzt, die Igelstationen, Wildtierhilfen und Tierheimen in ganz Deutschland immer mehr Pfleglinge beschert.
Dabei wird den Igeln eine jahrtausendealte Verteidigungsstrategie zum Verhängnis: Bei Gefahr rollen sich die Tiere zu einer regungslosen Stachelkugel ein, so dass Gesicht, Bauch und Gliedmaßen verborgen und durch die nadelspitzen, starr aufgerichteten Stacheln geschützt sind. So können sie zwar Fressfeinde wie Marder, Iltis, Fuchs und Dachs erfolgreich abwehren, haben jedoch gegen motorisierte Gartengeräte keine Chance. Hinzu kommt, dass Freischneider von Gartenbesitzern, Hausmeistern und Bauhofbetreibern gerade dort eingesetzt werden, wo Igel ihre Schlaf- und Nestplätze einrichten, nämlich unter Büschen, an Heckenrändern und in verwilderten, überwucherten Ecken.
Wurden bei den Igelstationen früher im Frühjahr und Sommer nur wenige hilfsbedürftige Igel eingeliefert, die beim Kompostumsetzen mit Mistforken verletzt oder von einem Hund gebissen wurden, verzeichnen die Tierhilfen immer mehr Igel mit typischen Verletzungsmustern. Die Tiere weisen tiefe Schnittwunden im Rückenbereich auf, manchmal sind sogar größere Flächen freigelegt , beschreibt Karolin Schütte von der Wildtier- und Artenschutzstation im niedersächsischen Sachsenhagen die Verletzungen ihrer Patienten. Häufig sind die Wunden bereits entzündet oder von Maden befallen , ergänzt die Tierärztin. Sie schätzt, dass rund ein Drittel der eingelieferten Tiere so schwer verletzt sind, dass sie sofort eingeschläfert werden müssen. Ein weiteres Drittel verstirbt trotz Behandlung und intensiver Pflege, so dass letztlich höchstens jeder dritte Igel wieder in die Freiheit entlassen werden kann.
Auch Mähroboter gehören zu den neuen Feinden der Igel. Die als fleißige Helfer angepriesenen Geräte kommen vor allem in Privatgärten zum Einsatz, wo sie stundenlang ihre Runden drehen und dabei Insekten, Spinnen, Schnecken, Amphibien, Reptilien und kleinen Säugetieren den Garaus machen. Obwohl die Hersteller in den Bedienungsanleitungen darauf hinweisen, dass Mähroboter möglichst tagsüber und unter Aufsicht arbeiten sollen, sind die autonomen Geräte oft nachts unterwegs. Dann tragen sie nicht nur zur Verringerung der Artenvielfalt bei, sondern gefährden auch nachtaktive Tiere, die auf Nahrungssuche über den Rasen stromern.
»Verletzungen durch Mähroboter sind besonders grausam«, so Karin Oehl, die seit 1973 eine Igelstation in Pulheim (Nordrhein-Westfalen) betreibt. »Zerschnittene Oberkiefer und Nasen, fehlende Augen, offenliegende Gehirne«, erläutert die Grande Dame der Igelpflege und fügt hinzu: »Ich hatte hier in der Station in neun Tagen elf Igel, die starben oder euthanasiert werden mussten. Das erträgt kein Mensch mehr.«
Lag der Schwerpunkt in den Anfangsjahren auf der Aufnahme von kranken, verwaisten oder zu leichten Jungigeln im Herbst, so hat sich die Igelpflege inzwischen zu einem ganzjährigen Vollzeitjob entwickelt, der den Ehrenamtlichen ein hohes Maß an medizinischer und pflegerischer Expertise sowie physischer und psychischer Belastbarkeit abverlangt und sich darüber hinaus aufgrund mangelnder finanzieller Mittel in Privathäusern mit begrenzter Aufnahmekapazität abspielt. Hinzu kommen Beratungen, Seminare, Vorträge und Schulveranstaltungen zum Thema Natur- und Artenschutz im Allgemeinen und Igelschutz im Besonderen.
Bundesweite Plakataktion: Kein Nachteinsatz von Mährobotern!
Um auf das hohe Gefährdungspotential nachts fahrender Mähroboter aufmerksam zu machen und zu einem vorsichtigen Umgang mit motorisierten Gartengeräten aufzurufen, haben die Tierfreunde Rhein-Erft 2021 nicht nur die Medien sensibilisiert, sondern gemeinsam mit der Igelstation Pulheim und der Igelhilfe Rostock eine bundesweite Plakataktion gestartet, die auf große Resonanz gestoßen ist und in diesem Jahr fortgesetzt wird. Zur Auswahl stehen vier aussagekräftige Plakate mit unterschiedlicher Gestaltung, die unter dem Motto »Einfach mal abschalten« zur Vermeidung von nächtlichen Mährobotereinsätzen aufrufen.
Wer sich an der Kampagne beteiligen und Plakate in Geschäften, Gärtnereien, Blumenläden, Apotheken, Arztpraxen, Sparkassen oder in öffentlichen Gebäuden aufhängen möchte, kann auf der Homepage der Tierfreunde Rhein-Erft Plakate herunterladen oder als Farbdruck bestellen.
»Wir hoffen, möglichst viele Gartenbesitzerinnen und Gartenbesitzer zu erreichen und zu einem achtsameren Umgang mit der Natur zu bewegen«, fasst Renate Könen von den Tierfreunden Rhein-Erft ihre Motivation zusammen, »denn leider haben wir in der Vergangenheit vergeblich versucht, Baumärkte und Hersteller für die Problematik zu interessieren, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.«
Jeder sollte in seinem Garten beim Einsatz motorisierter Gartengeräte größte Vorsicht walten lassen, um Igel, Jungvögel und andere Tiere nicht zu gefährden. Und bitte mehr Wildnis wagen: Giftfreie, naturnahe Gärten mit heimischen Büschen und Hecken, Blühwiesen statt kurz geschorener Rasenflächen, wuchernden Ranken und Laubhaufen helfen nicht nur Igeln, sondern tragen generell zum Erhalt der Artenvielfalt bei.
Informationen & Plakataktion: |