Österreich: Keine Jagd auf meinem Grundstück!
aus ethischen Gründen nicht untersagen
Von Julia Brunke, Redaktion "Freiheit für Tiere"
Vier Grundeigentümer aus Niederösterreich können es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, dass Jäger auf ihren Grundstücken Tiere tot schießen. Sie berufen sich auf die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und klagten bis zum Österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH). Am 27. Oktober 2017 gab das höchste österreichische Gericht seine Entscheidung bekannt: Grundeigentümer in Niederösterreich müssen die Bejagung ihrer Flächen und die verpflichtende Mitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft dulden. (VfGH, Urteil vom 10.10.2017, E 2446/2015 ua) Nun wollen die betroffenen Grundeigentümer den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen. Dieser war bereits 2012 im Falle eines deutschen Grundeigentümers, 2007 im Falle einer luxemburgischen Grundeigentümerin und 1999 im Falle französischer Kläger zu dem Urteil gekommen: Es ist nicht mit dem in der Menschenrechtskonvention garantierten Schutz des Eigentums zu vereinbaren, wenn Grundstückseigentümer, welche die Jagd nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, zwangsweise Mitglied in Jagdgenossenschaften sind und damit die Jagd auf ihrem Eigentum dulden müssen.
Die vier Beschwerdeführer aus Niederösterreich sind Eigentümer von Land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken in den Bezirken Melk, Wiener Neustadt und Zwettl. Gemäß dem Niederösterreichischen Jagdgesetz von 1974 sind sie damit automatisch Mitglieder der örtlichen Jagdgenossenschaft. Da sie die Jagd grundsätzlich ablehnen, stellten die Beschwerdeführer Anträge an die zuständigen Bezirkshauptmannschaften, ihre Grundstücke von der Jagd freizustellen. Die zuständigen Bezirkshauptmannschaften wiesen die Anträge auf Jagdfreistellung und Feststellung der Beendigung der Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft zurück. Die Grundeigentümer legten Beschwerde beim Landesverwaltungs gericht Niederösterreich ein. Das Landesverwaltungsgericht wies die Beschwerden ab, weil das Niederösterreichische Jagdgesetz eine Jagdfreistellung aus den von den Beschwerdeführern genannten Gründen nicht vorsehe. Daraufhin riefen die Grundeigentümer den Österreichischen Verfassungsgerichtshof an.
Familie Wallner aus Emmersdorf in Niederösterreich
besitzt Felder mit Hecken und Streuobstwiesen, die an ihren Hausgarten angrenzen. Die Jagd und das Töten von Wildtieren lehnen sie aus ethischen Gründen grundsätzlich ab. Als Grundeigentümer sind sie jedoch automatisch Mitglied in der örtlichen Jagdgenossenschaft. Das bedeutet, dass auf ihren Flächen die Jagd ausgeübt wird - gegen ihren Willen. Weil die zuständige Bezirkshauptmannschaft ihren Antrag, die Grundstücke von der Jagd freizustellen, ablehnte, klagten die Wallners bis vor den österreichischen Verfassungsgerichtshof. · Bild: Paul Wallner
»Es ist quasi unser erweiterter Garten,
den wir mit den Wildtieren teilen«, erklärt Helmut Paul Wallner. »Hier wird das Gras nur zwei Mal pro Jahr gemäht, um unsere tierlichen Gäste so wenig als möglich zu stören. Wir setzen an den Grenzen der Grundstücke Hecken, bzw. lassen auch so manches ‘wilde Eck’, um den Tieren Unterschlupf zu gewähren. So haben wir neben verschiedensten Vögeln auch stets Fasane, Feldhasen und Rehe zu Gast in unserem Hausgarten.« · Bild: Paul Wallner
"dient jedoch dem öffentlichen Interesse"
In seinem Urteil vom 10.10.2017 wies der Österreichische Verfassungsgerichtshof die Beschwerden der Grundeigentümer ab. Zwar erkannten die Verfassungsrichter, dass die Pflicht zur flächendeckenden Jagd für Waldbesitzer eine Eigentumsbeschränkung darstelle, sie diene jedoch dem öffentlichen Interesse der Biodiversität, des Artenreichtums und der Vermeidung von Wildschäden . Das öffentliche Interesse sei höher zu gewichten als das Eigentumsrecht.
Weiter heißt es in der Pressemeldung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs: Der Einfluss des Wildes auf die Land- und Forstwirtschaft ist in Niederösterreich in allen Regionen gleichermaßen hoch, und zwar unabhängig vom Anteil des Waldes und unabhängig davon, ob es sich um alpine Regionen handelt. Durch eine Herausnahme einzelner Grundflächen würde das System der Wildbewirtschaftung in seiner praktischen Effektivität gefährdet.
Der Verfassungsgerichtshof verwies außerdem auf die Möglichkeit, Grundeigentum schalenwilddicht zu umzäunen. In diesem Fall könne die Bezirksverwaltungsbehörde das Ruhen der Jagd verfügen: Diese Regelung kann auch von jemandem, der die Jagd aus ethischen Gründen ablehnt, in Anspruch genommen werden. Der Eingriff in das Eigentumsrecht ist daher verhältnismäßig.
Bereits 2016 hatte der VfGH im Fall von Grundstückseigentümern aus Kärnten entschieden, dass Pflicht zur Duldung der flächendeckenden Bejagung verfassungskonform sei.
Tierschützer entsetzt
Dr. Martin Balluch, Obmann des Vereins gegen Tierfabriken, zeigte sich in einer ersten Reaktion auf Facebook entsetzt: Erschreckend! Der VfGH hat nun auch für NÖ die Freistellung des eigenen Waldbesitzes von der Zwangsbejagung abgelehnt. Da redet die Jägerschaft immer vom Respekt vor dem Grundbesitz und dass Jagd und Grundbesitz seit 1848 untrennbar verbunden sind, aber wenn ein Grundbesitzer keine Jagd auf seinem Grund wünscht, dann wird drübergefahren und zwangsbejagt. Und: Der VfGH argumentiert im Urteil, dass man auch nicht das kleinste Fleckerl Wald jagdfrei stellen könnte, weil sonst das den gesamten Raum umfassende Jagdkonzept nicht funktionieren würde.
Dr. Christian Nittmann, Initiator und Sprecher der Bürgerbewegung Zwangsbejagung ade Österreich ist erstaunt, dass der VfGH nicht dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) folgt, sondern der Argumentation des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, der Niederösterreichischen Landesregierung und der vom VfGH bestellten Auskunftspersonen. Nittmann: Aus unserer Sicht wurde hiermit lediglich unnötigerweise der Akt bis zur Änderungsverpflichtung der österreichischen Landesjagdgesetzgeber durch eine wahrscheinliche Verurteilung der Republik Österreich durch den EMGR verlängert. Dies leider zum Leidwesen der betroffenen Grundstückseigentümer und der Wildtiere.
für Menschenrechte anrufen
Die betroffenen Grundeigentümer wollen sich mit der Entscheidung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs nicht zufrieden geben. Mag. Stefan Traxler, einer ihrer Anwälte, kündigte gegenüber dem ORF an, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ziehen zu wollen. Er kritisiert außerdem die Befangenheit eines Sachverständigen, der vor dem Verfassungsgerichtshof zu Wort gekommen war.
Weitere Grundeigentümer aus Oberösterreich und der Steiermark fordern ebenfalls ein Jagdverbot auf ihren Flächen.
Zwangsbejagung verstößt gegen Menschenrechte
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR hat in seinem am 26.06.2012 verkündeten Urteil der Großen Kammer im Verfahren Herrmann gegen Bundesrepublik Deutschland eine Verletzung von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 (Schutz des Eigentums) zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgestellt: Es ist nicht mit dem in der Menschenrechtskonvention garantierten Schutz des Eigentums zu vereinbaren, wenn Grundstückseigentümer, welche die Jagd nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, zwangsweise Mitglied in Jagdgenossenschaften sind und damit die Jagd auf ihrem Eigentum dulden müssen.
Damit folgte der Gerichtshof seinen Schlussfolgerungen in zwei früheren Urteilen, die das Jagdrecht in Frankreich (EGMR-Urteil vom 29. April 1999) und Luxemburg (EGMR-Urteil vom 10.07.2007) betrafen. Die Rechtssprechung des EGMR zur Jagdpflicht muss als mittlerweile gefestigt angesehen werden.
Die Deutsche Bundesregierung, der Jagdverband und weitere beteiligte Verbände hatten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sämtliche erdenklichen Allgemeinbelange, wie sie jetzt auch vom Österreichischen Verfassungsgerichtshof angeführt wurden, vorgetragen: Pflicht zur Hege, die Erhaltung eines artenreichen gesunden Wildbestandes, die Verhütung von durch wild lebende Tiere verursachten Schäden u.a.m.
Das höchste europäische Gericht hat diese Belange allesamt gewürdigt und ist dennoch zu dem eindeutigen Ergebnis gekommen, dass die Menschenrechte betroffener Grundstückseigentümer, insbesondere der Schutz des Eigentums und die Gewissensfreiheit, schwerer wiegen.
Aufgrund des Urteils des höchsten europäischen Gerichts vom 26.6.2012 wurde die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, ihre Jagdgesetzgebung entsprechend zu ändern. Grundeigentümer können aus ethischen Gründen einen Antrag stellen, dass ihre Flächen jagdrechtlich befriedet werden.
Quellen:
Österreichischer Verfassungsgerichtshof: Pflicht zur Duldung der flächendeckenden Bejagung ist verfassungskonform. Pressemitteilung vom 27.10.2017
www.vfgh.gv.at/medien/Duldung_der_flaechendeckenden_Bejagung.php
Entscheidung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs vom 10.10.2017 (E 2446/2015 - 42, E 2448/2015 - 42, E 152/2016 - 37, E 764/2017 32)
Flächendeckende Jagd verfassungskonform. ORF, 27.10.2017.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 26.6.2012 im Fall Herrmann gegen die Bundesrepublik Deutschland
(Beschwerdenummer 9300/07).
www.zwangsbejagung-ade.de/rechtlichegrundlagen/urteilegmr2012/index.html
www.zwangsbejagung-ade.de/downloads/grandchamberjudgmentherrman.pdf
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