Vegane Ernährung und Medizin: neue Studien
Von Dr. med. Hans-Günter Kugler
Die vegane Ernährung erlebt derzeit einen regelrechten Boom, erkennbar beispielsweise an der rasant steigenden Zahl von Neuveröffentlichungen veganer Kochbücher. 2010 sind in Deutschland drei vegane Kochbücher erschienen, 2015 waren es bereits 119 Veröffentlichungen. Die Zahl der Veganer in Deutschland wird auf rund 900.000 Personen geschätzt - mit steigender Tendenz. In puncto Tier-, Natur- und Klimaschutz ist die vegane Ernährung unbestritten die konsequenteste Ernährungsform.
Immer wieder wird die Frage diskutiert, ob die vegane Ernährung bedarfsdeckend sei. Bei einer veganen Ernährung bestehen zwar mehr Risiken in Bezug auf Nährstoffdefizite als bei einer lakto-ovo-vegetabilen Kost, aber bei Erwachsenen, die sich vegan ernähren, ist eine ausreichende Versorgung unter Berücksichtigung einer breiten Lebensmittelauswahl und bei entsprechenden Ernährungskenntnissen sowie einer zuverlässigen Supplementierung kritischer Mikronährstoffe dennoch möglich. Hier geht es insbesondere um das Vitamin B12. Veganer, die aus irgendwelchen Gründen kein Vitamin B12 einnehmen, setzen fahrlässig ihre Gesundheit aufs Spiel und schaden letzten Endes auch der veganen Bewegung.
Es wird unter Ernährungsexperten noch kontrovers diskutiert, inwieweit sich die vegane Ernährung auch für das Kindesalter eignet. Diesbezüglich gibt es in verschiedenen Ländern unterschiedliche Statements. Im Folgenden geht es primär nicht um die Frage der Nährstoffversorgung bei veganer Ernährung, vielmehr um medizinische Effekte, die bei einer veganen Ernährung festgestellt wurden.
Wir leben ja in einer Zeit zunehmender ernährungsabhängiger Erkrankungen, insbesondere Übergewicht/ Adipositas mit seinen Folgeerkrankungen, so dass eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten auch dringend geboten ist. Hierfür bietet sich die vegane Kost in besonderem Maße an.
Die Grundlage der folgenden Ausführungen sind Studien, die seit 2012 zur veganen Ernährung publiziert wurden:
Schilddrüsenerkrankungen
Wissenschaftler der Loma Linda University publizierten im November 2013 einen Fachartikel zum Thema Schilddrüsenunterfunktion und vegane Ernährung. Die Auswertung der Daten der Adventist Health Study 2 ergab, dass eine vegane Kost offensichtlich das Risiko für eine Schilddrüsenunterfunktion verminderte, während eine lacto-ovo-vegetabile Ernährung das Risiko erhöhte.
2015 veröffentlichte die gleiche Forschergruppe, dass eine vegane, lacto-ovo-vegetabile und pesco-vegetarische Ernährung das Risiko für eine Schilddrüsenüberfunktion reduzierte. Am ausgeprägtesten war die Risikominderung bei der veganen Kost.
Diabetes mellitus
Wie aus der Auswertung der Adventisten-Kohortenstudie hervorgeht, hat eine vegane Ernährung im Vergleich zu einer lacto-ovo-vegetabilen Ernährung einen Zusatznutzen in der Prävention des Typ-2-Diabetes. Der Hauptgrund hierfür dürfte sein, dass Veganer durchschnittlich schlanker sind als Lakto-Ovo-Vegetarier.
Eine Studie tschechischer Wissenschaftler ergab, dass Veganer im Vergleich zu Mischköstlern eine höhere Insulinsensivität aufwiesen, was aber nicht auf eine vermehrte Mitochondriendichte zurückzuführen war.
2015 erschien ein Fachartikel von der University of Illinois, aus dem hervorging, dass bei Typ-2-Diabetikern eine vegane Kostform im Vergleich zu einer empfohlenen Diät der American Diabetes Association zu einer besseren Blutzuckerkontrolle führte.
Wissenschaftler aus Korea verglichen eine vegane Kost und eine konventionelle Diabetesdiät bei koreanischen Diabetikern. Beide Ernährungsformen führten zu einer Verminderung des HbA1c-Spiegels. Die Blutzuckerkontrolle war aber bei den Studienteilnehmern mit veganer Kost besser als bei denen mit einer konventionellen Diät.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Aus dem Übersichtsartikel der Loma Linda University über die Adventist-Kohortenstudien ist zu entnehmen, dass Veganer im Vergleich zu Lacto-Ovo-Vegetariern auch von einem zusätzlichen Schutzeffekt gegen Bluthochdruck und kardiovaskuläre Sterblichkeit profitieren. Günstige Faktoren bei Veganern im Vergleich zu Vegetariern sind sicherlich ein niedrigerer BMI sowie eine niedrigere Plasmalipid-Konzentration.
2016 publizierten Wissenschaftler aus Polen eine Studie, die sich mit dem Einfluss der veganen Ernährung auf das Serumlipid-Profil beschäftigte. Im Vergleich zu Mischköstlern hatten Veganer niedrigere Werte bezüglich Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin, Non-HDL-Cholesterin, Apolipoprotein D und Phospholipide. Die Konzentration von HDL-Cholesterin war bei Veganern und Mischköstlern ähnlich groß.
Ein interessanter Aspekt ist der unterschiedliche Einfluss pflanzlicher und tierischer Proteine. Ein hoher Verzehr von Proteinen aus tierischen Quellen war in zwei großen Langzeitstudien mit einer erhöhten Sterblichkeit, insbesondere auch mit einer Zunahme der kardiovaskulären Sterblichkeit, assoziiert. Eine hohe Zufuhr von Proteinen aus pflanzlichen Quellen senkte das Sterberisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sogar um 12 Prozent.
Eine vegane Ernährung hat aber nur dann positive Effekte in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wenn sichergestellt ist, dass genügend B12 zugeführt wird. Bei einem Vitamin-B12-Mangel kommt es nämlich zu einem Anstieg des Homocysteins, wodurch dann das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt.
Erhöhte Entzündungsaktivität und Darmflora
Wie US-Wissenschaftler nachweisen konnten, kann durch eine Umstellung auf eine vegane Ernährung auch die Entzündungsaktivität im Stoffwechsel gesenkt werden. Eine vegane Kost mit einem hohen Gemüse- und Fasernanteil konnte die CRP-Konzentration bei übergewichtigen Personen reduzieren.
Zunehmend wird erkannt, dass die Zusammensetzung der Darmflora eine wichtige Rolle für verschiedene Erkrankungen spielt, wie z.B. für das metabolische Syndrom. 2014 erschien ein Übersichtsartikel von US-Wissenschaftlern, der sich mit den gesundheitlichen Vorteilen einer veganen Ernährung beschäftigte, unter spezieller Berücksichtigung des Stellenwerts der Darmflora. Eine Umstellung der Ernährung auf vegane Kost führte zu einem verminderten Auftreten von Pathobionten, also Bakterienarten mit möglichen schädlichen Eigenschaften. Stattdessen konnte ein vermehrtes Auftreten von Bakerienstämmen mit günstigen Eigenschaften beobachtet werden. Zu den Pathobionten gehören z.B. die Enterobacteriaceae, die z.B. für das Auslösen einer leichten Entzündungsaktivität verantwortlich sind. Die Darmflora von Veganern unterscheidet sich am meisten von der der Mischköstler, aber nicht immer signifikant von der von Vegetariern. Der positive Effekt der veganen Kost dürfte auch in einem gewissen Umfang auf die verminderte Entzündungsaktiviät zurückzuführen sein.
2012 haben Wissenschaftler der Universität Tübingen einen Fachartikel publiziert, ebenfalls über Veränderungen der Bakterienzusammensetzung in der Darmflora. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass in Stuhlproben von Veganern verschiedene Bakterienstämme, z.B. Escherichia coli und die Enterobakterien, signifikant niedriger waren als bei Kontrollproben, während es bei verschiedenen anderen Stämmen zu keiner Veränderung kam. Die Gesamtzahl an Bakterien unterschied sich nicht in den verschiedenen Gruppen. Personen mit einer veganen oder vegetarischen Ernährung zeigten einen signifikant niedrigeren Stuhl-PH-Wert als die Mischköstler.
Tumorerkrankungen
Aus einigen Publikationen geht hervor, dass eine vegane Kost das Auftreten von Krebserkrankungen um etwa 15 Prozent vermindert. Bei der vegetarischen Ernährung beträgt die Risikoverminderung etwa acht Prozent.
Die vegane Ernährung zeigte auch einen signifikanten Schutzeffekt gegen frauenspezifische Tumorarten. Bei der lacto-ovo-vegetarischen Ernährung war hauptsächlich das Risiko für Tumore des Magen-Darm-Trakts vermindert. Im Januar 2016 publizierten Wissenschaftler aus Norwegen und den USA, dass eine vegane Ernährung mit einem niedrigeren Risiko für das Prostatakarzinom assoziiert war.
Knochendichte / Osteoporose
Von großem medizinischen Interesse ist natürlich die Frage, ob eine vegane Ernährung nachteilige Effekte auf die Knochendichte hat. Die Aussagen in der Fachliteratur sind hierzu nicht ganz eindeutig. Die Publikation von US-Wissenschaftlern vom Mai 2015 kommt zu dem Schluss, dass pflanzenbasierte Ernährungsformen keinen nachteiligen Effekt auf die Knochendichte bei jungen Erwachsenen haben. Empfohlen wird auf jeden Fall eine vermehrte Zufuhr pflanzlicher Proteine.
In einer Untersuchung mit 210 Frauen aus Vietnam, darunter 105 Veganerinnen und 105 Mischköstlerinnen, zeigte die vegane Kost keinen nachteiligen Effekt auf die Knochendichte und auf das Frakturrisiko.
Im Februar 2016 publizierte die Schweizer Fachzeitschrift Swiss Medical Weekly einen Fachartikel, der sich mit dem Thema Säurebelastung und Knochengesundheit beschäftigte. Eine niedrige Säurelast des Organismus, wie sie für vegetarische und vegane Ernährungsformen üblich ist, ist prinzipiell mit einem niedrigeren Knochenabbau und einer höheren Knochendichte assoziiert. Dies ist wahrscheinlich auf eine hohe Zufuhr kaliumreicher Nahrungsmittel zurückzuführen. Bei Veganern mit einer besonders niedrigen Calciumzufuhr war aber die Knochendichte vermindert; bei einer veganen Kost sollte also auf jeden Fall auf eine ausreichende Calciumzufuhr geachtet werden.
Psyche
Eine ausreichende Zufuhr von langkettigen Omega-3-Fettsäuren wird meist als unabdingbar für eine gute psychische Befindlichkeit angesehen. 2013 wurde publiziert, dass Veganer eine relativ hohe Zufuhr von Alpha-Linolensäure aufwiesen. Bei einem Vergleich mit Vegetariern und Mischköstlern zeigten die Veganer ein geringeres Maß an Ängstlichkeit.
2015 wurde in der Fachzeitschrift Nutritional Neuroscience publiziert, dass männliche Veganer über weniger Ängstlichkeit berichteten. Bei Frauen war die vegane Ernährung mit weniger Stresssymptomen assoziiert.
Schlussbemerkung:
Eine sachgerecht durchgeführte vegane Ernährung kann also vielfältige gesundheitliche Vorteile haben. Voraussetzung hierfür ist aber in jedem Fall, dass Mikronährstoffdefizite, insbesondere Vitamin-B12-Mängel, konsequent vermieden werden. Veganer sollten auch auf eine ausreichende Calcium- und Proteinzufuhr achten.
Referenzen:
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Weiterführende Informationen:
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