Antibiotikamissbrauch in der Massentierhaltung

Damit die Tiere die industrielle Massenhaltung

Damit die Tiere die industrielle Massenhaltung

überleben, kommen massenhaft Antibiotika zum Einsatz. · Bild: PETA

Die Natur schlägt zurück

Ein ehemaliger Veterinäramts-Leiter deckt auf:
Antibiotikamissbrauch in der Massentierhaltung und die Folgen

Seit Bestehen der Menschheit hat es kein solches Ausmaß an Tierquälerei gegeben - sowohl was Quantität als auch die Intensität angeht - wie in unserer Zeit. Die Folgen haben wir alle zu tragen, und sei es in der Person unserer Kinder und Kindeskinder. Der Mann, der mit dieser aufrüttelnden Feststellung an die Öffentlichkeit geht, weiß, wovon er spricht: Dr. Hermann Focke war langjähriger Leiter des
Veterinäramts Cloppenburg, der Region mit der größten Tierdichte Europas. In seinem Buch Die Natur schlägt zurück - Antibiotikamissbrauch in der intensiven Nutztierhaltung und Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt beschreibt er die dramatischen Folgen von Massentierhaltung und agrarindustrieller Produktion und die steigende Gesundheitsbelastung durch die riesigen Mengen an antibiotikakontaminierter Gülle.

Im ersten Teil seines Buches beschreibt der Tierarzt und ehemalige Veterinäramtsleiter mit seinem großen Fach- und Insiderwissen die unermessliche legalisierte Tierquälerei in der Schweineproduktion , in der Hühner- und Putenmast und bei den Legehennen. Denn das Elend der Nutztiere in den industriellen Massentierhaltungen hängt mit der Antibiotika-Resistenz-Problematik ursächlich zusammen: Ohne massenhaften Einsatz von Arzneimitteln würden die Tiere unter diesen Haltungsbedingungen nicht überleben.

Der Antibiotikaeinsatz in der industriellen Massentierhaltung nimmt immer weiter zu. So bestätigte das Niedersächsische Landwirtschaftsministerium im Oktober 2010, dass Mäster in der konventionellen Hähnchenhaltung immer mehr Antibiotika einsetzen. Die Leiterin der Abteilung Verbraucherschutz und Tiergesundheit, Heidemarie Helmsmüller, sagte gegenüber NDR Info: Ohne Einsatz der Mittel schaffen es die Hühner in großen Ställen häufig nicht, bis zum Ende ihrer Mastzeit zu überleben. (NDR Info, 25.10.2010: Antibiotika-Einsatz bei Masthühnern steigt )
Im zweiten Teil des Buches Die Natur schlägt zurück zeigt Dr. Hermann Focke anhand umfangreicher Fakten und Daten auf, wohin zügelloser Antibiotikaeinsatz in der agrarindustriellen Nutztierhaltung führt: zu Resistenzen. Das heißt: Die bisher wichtigsten Medikamente gegen bakterielle Infektionskrankheiten verlieren immer mehr an Wirksamkeit. Die Folge: Eine nicht mehr zu beherrschende Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier.

Schweinezucht- und -mastanlage

Schweinezucht- und -mastanlage

Schweinezucht- und -mastanlage in Mecklenburg-Vorpommern. Bild aus »Die Natur schlägt zurück« · E. Wendt

Die Werbung der Agrarindustrie versucht uns immer noch vorzugaukeln, Milch, Eier und Fleisch kämen von romantischen Bauernhöfen, wo sich Tiere auf grünen Wiesen tummeln. Diese Bauernhöfe gibt es längst nicht mehr - sondern riesige Agrarfabriken mit hunderttausenden von Tieren. Hier werden möglichst hohe Tierzahlen pro Quadratmeter mit möglichst hohem Ertrag pro Tier (Fleisch, Milch, Eier) unter möglichst geringem Personaleinsatz verbunden.

Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Vorkommen resistenter Keime beim Menschen und den Lebensmittel liefernden Nutztieren. Dr. Hermann Focke erklärt in Die Natur schlägt zurück diesen Zusammenhang so:

Mit steigender Anzahl von Nutztieren auf engstem Raum (Tierdichte) und unverhältnismäßig vielen Ställen der gleichen Nutzungsart in einer Region (Populationsdichte) vergrößert sich überproportional das Erkrankungsrisiko der eingepferchten Tiere. Dieser ökologischen Gesetzmäßigkeit, insbesondere dem Anstieg von bakteriellen Infektionserregern, versucht man in der agrarindus triellen Massentierhaltung mit entsprechenden Medikamenten (hier vorwiegend Antibiotika) entgegenzuwirken. Aber die krankmachenden Bakterien wissen sich zu wehren, indem sie dauerhaft gegen die verabreichten Antibiotika Resistenzen entwickeln, diese an die folgenden Generationen weitergeben und auf Dauer einen Großteil der Antibiotika unwirksam werden lassen.

Zunächst versucht man, dieses durch Dosiserhöhung der Medikamente zu kompensieren, was jedoch zur Folge hat, dass die Resistenzen weiter ansteigen mit dem Ergebnis, dass irgendwann nichts mehr geht. Dieses Phänomen gilt sowohl in der Veterinär- wie auch in der Humanmedizin, denn es kommt zu Interaktionen zwischen Tier und Mensch, da zahlreiche bakterielle Erreger für beide Spezies krankmachend sind.

Focke stellt wissenschaftliche Forschungsergebnisse vor, die nachweisen, dass es zu Therapieversagen und Todesfällen durch vom Nutztier stammende Errreger kommen kann. Ein Risiko sind die lebensmittelbedingten Infektionen, also die Infizierung über Fleisch, Eier und Milch: So nimmt die Antibiotikaresistenz bei Salmonellen, E. coli oder Campylobacter immer weiter zu.

Doch die riesigen Antibiotikamengen sowie auch resistente Erreger gelangen - vor allem über die Gülledüngung - auch in großem Stil in die Umwelt: in die Böden, in die Gewässer und in das Grundwasser. Über mit Gülle gedüngte Böden können Antibiotika sogar in Nutzpflanzen gelangen: Wissenschaftler wiesen Antibiotika aus der Gülle z.B. in Feldsalat, Mais, Kohl, Kartoffeln, Zwiebeln und sogar Getreidekörnern nach.

Die Fakten und Zahlen, die Dr. Focke in Die Natur schlägt zurück zusammengestellt hat, sind erschreckend: Die weitgehend lediglich an Gewinnmaximierung orientierte Intensivierung und Industrialisierung in der Nutztierhaltung geht auf Kosten von Tieren, Menschen und Umwelt - und Politiker und Behörden setzen weiterhin vorwiegend das um, was der Wirtschaft dient. So ruft der Autor dazu auf: Wir alle haben es in der Hand, durch unser Verbraucherverhalten und politische Einflussnahme gegenzusteuern. Es gibt keinen Erkenntnismangel, es gibt ein Handlungsdefizit. Wir haben die Wahl zwischen Apokalypse und Frieden mit der Natur. Frieden mit der Natur bedeutet auch Frieden mit uns selbst.

Buchtipps

Niemand hat bisher derart authentisch und kompetent über Massentierhaltung und deren katastrophalen Folgen für die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt berichtet.

Dr. Hermann Focke verfügt als Tierarzt und ehemaliger Veterinäramtsleiter in der Region mit der größten Nutztierdichte Europas über Insider-Kenntnisse agrarindustrieller Haltungssysteme und internationaler Tiertransporte. Er wurde in den 1990er Jahren bundesweit bekannt, als er nach eigenen umfangreichen Vor-Ort-Recherchen im In- und Ausland zahlreiche Skandale bei internationalen Schlachttiertransporten und damit in Zusammenhang stehenden Subventionsbetrügereien in Millionenhöhe publik machte.
1994 erhielt er den Tierschutz-Forschungspreis der Freien Universität Berlin und war 1995 der erste Preisträger des Zivilcourage-Preises der Solbach-Freise-Stiftung.

In seinem 2007 erschienenen Buch Tierschutz in Deutschland: Etikettenschwindel?! lenkte Dr. Focke erneut den Blick hinter die Kulissen agrarindustrieller Produktion und deren Auswirkungen auf das Produkt Tier. Er zeigte an vielen Beispielen und mit zahlreichen Dokumenten, wie eine mächtige Lobby der Agrar- und Lebensmittelindustrie Legislative und Exekutive in weiten Teilen beeinflusst nach dem Motto: Die Wirtschaft macht die Politik, und die Politiker machen dazu die Rhetorik.

Hermann Focke
Die Natur schlägt zurück
Antibiotikamissbrauch in der intensiven Nutztierhaltung und Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt

201 Seiten, Taschenbuch
Verlag: Pro Business, Berlin
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-86805-766-9
Preis: 14.80 Euro

Hermann Focke
Tierschutz in Deutschland
Etikettenschwindel?!


353 Seiten, Taschenbuch
Verlag: Pro Business, Berlin
1. Auflage 2007
ISBN 987-3-939430-93-3
Preis: 17,80 Euro