Ist Jagd auf Vögel notwendig?
»Jagdstrecke« mit erschossenen Enten und Fasanen.
Jäger erschießen jedes Jahr über eine Million Vögeln wie Tauben, Wildenten, Wildgänse, Krähen, Fasane, Rebhühner und Waldschnepfen. Dadurch zeigen alle Vögel in der freien Natur - auch die geschützten - große Scheu vor Menschen. · Bild: melnikofd - Shutterstock.com
Durch die Jagd sind Vögel in der freien Natur ständig auf der Flucht vor Menschen
Während sich die Enten und Gänse in der Stadt auf den Gewässern ohne große Scheu vor dem Menschen beobachten lassen und ihnen zum Brüten oder Mausern eine Insel im Teich oder ein nicht direkt zugängliches Ufer reicht, zeigen sie in der »freien Natur« große Fluchtdistanzen.
»Dass die Wasservögel so empfindlich auf Störungen reagieren, liegt an der Bejagung. Sie macht nicht nur die betroffenen Arten scheu, sondern auch jene, die eigentlich geschützt sind. Diese können nicht wissen, wem die Schüsse gelten, die die Panik auslösen«, erklärt der Zoologe und Vogelforscher Prof. Dr. Josef H. Reichholf.
»Die von der Jagd erzwungene Scheu ist das Hauptproblem für fast alle größeren und großen Vögel«, so der Ornithologe. Und er weist daraufhin, dass sich während der Jagdsaison die Verhältnisse bei uns zwar graduell, aber nicht grundsätzlich von denen rund ums Mittelmeer unterscheiden würden, »wo der Krieg ausgebrochen scheint, wenn die Jäger bei der herbstlichen Vogeljagd loslegen - und sehr viel von unserem Vogelschutz zunichte machen. Wohl der Ente, die im Burgfrieden der Städte geblieben ist. Wenige Kilometer außerhalb kann sie tödlicher Bleischrot treffen.«
Dabei ist die Jagd in unserer Zeit nur noch ein reines Vergnügen der Jäger: »Eine Notwendigkeit ist sie nicht. Denn wo Vögel wirtschaftliche Schäden verursachen, etwa Stare in Weingärten, leistet die Jagd nichts zur ‚Regulierung’.« (Josef H. Reichholf: Ornis - Das Leben der Vögel. Verlag C.H. Beck, 2014. S. 77-79) Durch das ständige Auf-der-Flucht-sein verbrauchen Vögel große Mengen an Energie und Kraftreserven, die ihnen bei der Jungenaufzucht, beim Vogelzug und im Winter fehlen. Weil dadurch Wildgänse auf viel mehr Futter angewiesen sind, erhöhen sich die Fraßschäden auf den Feldern.
Deutschland: Gefährliches Land für Zugvögel
Die Bestände vieler Vogelarten nehmen rapide ab. Besonders stark betroffen sind Zugvögel, die über tausende Kilometer zwischen den Brutgebieten und ihren Überwinterungsgebieten hin und her ziehen. Ein britisches Forscherteam hat untersucht, was für Zugvögel besonders gefährlich ist. Demnach ist der Druck für Vogel-Populationen am größten, die mehreren Bedrohungen gleichzeitig ausgesetzt sind: immer weniger natürliche Lebensräume, Schädigung der verbleibenden Lebensräume aufgrund von industrieller Landwirtschaft und gleichzeitig ein hohes Maß an Jagd. Deutschland gehört laut der Studie zu den Ländern, die für Zugvögel am gefährlichsten sind. (Vogelzug: Deutschland gehört zu den gefährlichsten Ländern für Zugvögel überhaupt. RiffReporter, 29.6.2022)
In Deutschland sind - im Unterschied zu anderen EU-Ländern - nicht nur zahlreiche Vogelarten wie Wildtauben, Krähen, Fasane, Rebhühner und Waldschnepfen durch die Jagdgesetze zur Jagd freigegeben, sondern zum Teil ganze Vogelfamilien: Enten, Gänse und Möwen. (Komitee gegen den Vogelmord: Gesetzeslage in Deutschland. www.komitee.de/de/projekte/deutschland/gesetzeslage-in-deutschland/)
Jedes Jahr werden in Deutschland durch die Jagd bis zu zwei Millionen Wildvögel getötet. Hinzu kommen etwa 300.000 Wasservögel, die nur angeschossen wurden - und dann durch die Verletzungen oder durch eine Bleivergiftung aufgrund von Bleischrot-Munition einen qualvollen Tod sterben. Wenn Jäger in die Gänseschwärme schießen, werden auch immer wieder streng geschützte Arten getroffen.
Bleimunition tötet streng geschützte Greifvögel - 135 Millionen Vögel in Europa von Bleivergiftung bedroht
Greifvögel wie Seeadler, Falken, Habichte oder Milane zählen zu den streng geschützten Arten. Doch wegen Bleimunition bei der Jagd sind bei zehn Greifvogelarten rund 55.000 erwachsene Vögel in Europa verschwunden. Eine Studie der Universität Cambridge und des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin zeigt, dass die Zahl der Seeadler um 14 % kleiner ist, als sie es sein könnte. Die Zahl der Steinadler ist um 13 %, die Zahl der Gänsegeier um 12 % und die Zahl der Habichte um 6 % kleiner.
Doch es betrifft nicht nur Greifvögel: Nach Schätzungen der Europäischen Chemikalienagentur ECHA sind 135 Millionen Vögel von Bleivergiftung bedroht. Bleivergiftung kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod der Vögel führen.
Mehr als 14.000 Tonnen Blei gelangen in der EU jährlich durch bleihaltige Jagdmunition in die Umwelt. Greifvögel nehmen das hochgiftige Schwermetall auf, wenn sie Bleischrot verschlucken, mit Bleischrot angeschossen werden oder Tiere essen, auf die mit Blei geschossen wurde.
Green RE, Pain DJ, Krone O: The impact of lead poisoning from ammunition sources on raptor populations in Europe. Science of the Total Environment, 2022.
New research shows that birds of prey populations across Europe are suppressed by lead poisoning from hunting ammunition. Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V., 16.3.2022
Bleihaltige Munition gefährdet Greifvögel in Europa. GEO, 28.3.2022
Jagd zum Vergnügen
In Deutschland gibt es aufgrund industrieller Landwirtschaft und Jagd kaum noch Fasane und Rebhühner. Deswegen sind Jagdreisen in Länder wie Tschechien, Ungarn, Rumänien und der Slowakei beliebt. Geworben wird mit »hohen Strecken« mit »Hunderten von Fasanen an einem Tag«.
Und da spielt es auch keine Rolle, dass viele der Fasane und Rebhühner in Zuchtstationen ausgebrütet, in Volieren von Hand aufgezogen und erst kurz vor der Jagd kistenweise ausgesetzt wurden. Es zählt das »Jagdvergnügen«.
Übrigens: Auch in Deutschland und Österreich werden Fasane aus Zuchtanlagen von Jägern im Sommer zu Hunderten ausgesetzt und bei Gesellschaftsjagden im Herbst geschossen...