Natur ohne Jagd: Jagdverbot im Kanton Genf seit 1974
- Sensation 1974: Große Mehrheit bei Volksentscheid über Jagdverbot
- Jagdfreier Kanton Genf hat internationale Bedeutung für den Vogelschutz
- 50 Jahre Jagdverbot: Den Wildtieren in Genf geht es gut
- Und was ist mit den Wildschweinen?
- Jagdverbot: Die Bevölkerung steht dahinter
- Natur und Tiere werden wieder erlebbar
- Interview mit Gilles Mulhauser: »Unser Naturerbe ist ein kollektives Gut«
Im Schweizer Kanton Genf hat die Bevölkerung 1974 durch Volksabstimmung für ein allgemeines Jagdverbot auf Säugetiere und Vögel entschieden. Mit überaus positiven Auswirkungen für die Natur, Tiere und die Menschen: Noch nie war die Biodiversität größer. Die meisten Wildtierbestände regulieren sich selbstständig erfolgreich. An den Ufern des Genfer Sees und der Rhône erhöhte sich die Zahl der überwinternden Wasservögel auf spektakuläre Weise - ohne Zweifel eine Folge der ausbleibenden Störungen durch die Jagd. Vögel und die anderen Wildtiere verlieren immer mehr einen großen Teil der unnatürlichen Scheu, die durch die Jagd hervorgerufen wird.
So werden freilebende Tiere erlebbar: Die vielen Vögel an den Gewässern lassen sich von den Menschen nicht stören. Spaziergänger bekommen regelmäßig Wildtiere wie den Feldhasen zu Gesicht - und mit etwas Glück kann man am helllichten Tage Rehe und sogar Hirsche beobachten.
Trotz seiner geringen Größe von nur 280 Quadratkilometern und einer starken Urbanisierung mit 500.000 Einwohnern beherbergt der Kanton Genf eine vielfältige Fauna mit über 20.000 Tierarten. 25 Prozent des dicht besiedelten Kantons sind bebaut, 45 Prozent werden landwirtschaftlich genutzt, 15 Prozent bestehen aus Wald und Fluss, weitere 15 Prozent nimmt der Genfer See ein.
Sensation 1974: Große Mehrheit bei Volksentscheid über Jagdverbot
Zu Beginn der 1970er Jahre waren große Wildtiere durch übermäßige Bejagung im Kanton Genf fast ausgerottet. Es gab nur noch einige Dutzend Rehe. Hirsche und Wildschweine waren schon seit Jahrzehnten ausgerottet. Feldhasen, Wildkaninchen, Fasane und Rebhühner waren durch die Intensivierung der Landwirtschaft und durch die Jagd sehr selten geworden. Damit die Jäger noch etwas zu schießen hatten, wurden Fasane, Rebhühner und Feldhasen aus dem Ausland importiert und vor der Jagd ausgesetzt.
1974 kam es aufgrund einer Volksinitiative von Tierschützern zu einem Volksreferendum, das Geschichte schrieb: Mit einer großen Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wurde die Jagd im Kanton Genf verboten. Wenn das Volk in der Schweiz gesprochen hat, sind die Behörden konsequent: Ab sofort wurde kein Jagdpatent mehr vergeben - und so wurde in der Jagdsaison 1974 auch nichts mehr geschossen. In der Folge wurde ein Fauna-Gesetz verabschiedet und eine konstitutionelle Fauna-Kommission gegründet, in der Vertreter von Naturschutz und Tierschutz entscheiden, ob eventuell Regulationen, Eingriffe oder auch Schadensvergütungen notwendig sind - ein Abschuss sollte immer das letzte Mittel sein. Die Gründung dieser Kommission war Teil der Volksinitiative, damit nicht die Regierung über Ausnahmen entscheidet und dadurch das Jagdverbot verwässert wird.
Das Jagdverbot in Genf war eine Sensation und erregte auch weit über den Kanton hinaus große Aufmerksamkeit. Für die Jagdwelt war es ein Schock - und ist es bis heute. Denn das Beispiel Genf beweist, dass es - auch in der dicht besiedelten Kulturlandschaft - ohne Jäger geht, ja, dass es Natur und Tieren sogar viel besser geht und dass auch die Menschen davon profitieren.
Jagdfreier Kanton Genf hat internationale Bedeutung für den Vogelschutz
Durch die Abschaffung der Jagd im Kanton Genf 1974 bekam das Gebiet des Genfer Sees und des Flusses Rhône internationale Bedeutung für den Vogelschutz. Dies belegt eine Studie des Schweizer Vogelschutzes SVS-BirdLife eindrücklich. Demnach ist dieser für den Vogelschutz zuvor wenig bedeutsame Gewässerabschnitt heute ein bedeutsames Biotop für überwinternde Tafel- und Reiherenten, Hauben- und Zwergtaucher, Pfeif-, Schnatter-, Krick- und Stockenten. Auch für den Gänsesäger sind die Gewässer im Kanton Genf ein wichtiges Brut- und Überwinterungsgebiet.
50 Jahre Jagdverbot: Den Wildtieren in Genf geht es gut
Der Kanton Genf hat heute einen stabilen Huftierbestand von rund 60 Rothirschen und 200 bis 300 Rehen. Gottlieb Dandliker ist seit 2001 Faunainspektor im Kanton Genf und verantwortlich für das Wildtiermanagement. Als erklärter Tierfreund und Naturschützer hatte er nach seinem Biologiestudium für verschiedene NGOs wie den Schweizer Vogelschutz gearbeitet. Bei seinem Vortrag »Jagdverbot: wissenschaftlich möglich und praktisch bewiesen« am 15.10.2013 an der Universität Basel berichtete er, dass die Rehe - von denen es 1974 nur noch wenige gab - nach dem Jagdverbot den Kanton Genf nach kurzer Zeit wieder besiedelt haben. »Wir kommen pro Quadratkilometer auf etwa 10 bis 15 Rehe, was nicht übertrieben ist, wenn man bedenkt, dass sie 40 Jahre lang nicht bejagt wurden. Es findet also irgendwie eine Regulation statt.« Die Reh-Population ist seit Jahren stabil.
Immer wieder werde die Frage gestellt, ob die Rehe nicht Schäden im Wald verursachten. »Wir haben in Genf vor allem Eichenwälder«, erklärt Gottlieb Dandliker. »Und es ist ganz klar: Das Reh bedroht den Wald nicht.« Nun besteht ja bekanntlich ein Unterschied zwischen Wald und Forst: »Wenn der Förster einen bestimmten Typ von geraden Eichen haben will, den er in 200 Jahren sehr teuer verkaufen kann, dann kann es ein Problem geben.« Diese so genannten Zukunftseichen würden dann wie die Weinreben individuell geschützt.
Im Kanton Genf haben Rehe und Hirsche ihre unnatürliche Scheu verloren: Sie kommen auch am hellichten Tage aus der Deckung.
»Für die städtische Bevölkerung ist die Natur eine Bereicherung«, so lautet das Credo von Gilles Mulhauser, dem Leiter des Amtes für Natur und Landschaft. · Bild: F.Demonsant - Shutterstock.com
Dank Jagdverbot ist Genf eine der letzten Bastionen für Wildkaninchen und Rebhühner auf Schweizer Boden: »Wir haben die letzte Rebhuhnpopulation in der Schweiz«, sagt Faunainspektor Dandliker. Und: Genf hat heute die größte Populationsdichte von Feldhasen. Vor der Volksabstimmung im Jahr 1974 hatte die Jagdlobby behauptet, ohne Jagd wäre der Feldhase im Kanton Genf von der Ausrottung durch Beutegreifer bedroht. Das Gegenteil war der Fall: Inzwischen erfreut sich der Kanton Genf einer gesunden, vermehrungsfähigen Feldhasenpopulation - der größten in der Schweiz. Ein Grund dafür ist neben dem Jagdverbot auch eine Extensivierung in der Landwirtschaft: Ein Teil der landwirtschaftlichen Flächen sind ökologische Kompensation, auf denen durch Hecken und Brachen die Biodiversität gefördert wird. Davon profitieren auch Rebhühner, Greifvögel und Beutegreifer Füchse. »Greiftiere sind breit vorhanden, führen aber zu keinem Problem«, so der Faunainspektor. »Wir regulieren keine Füchse, Marder oder Dachse.«
Die Befürchtung der Landwirte, dass das Jagdverbot mehr Schäden an Kulturen bringen werde, hat sich nicht bewahrheitet: Die Schadenszahlen im Kanton Genf sind vergleichbar mit denen von Schaffhausen - obwohl in Schaffhausen die Jagd erlaubt ist. Durch die vielen Feldhasen kommt es zu Schäden an Sprösslingen von Sonnenblumen. Rehe verursachen vor allem Schäden in Fruchtbaumplantagen und an Weinreben. Doch die Genfer Landwirte werden durch jährliche Zahlungen entschädigt.
Das Beispiel Genf beweist, dass es - auch in der dicht besiedelten Kulturlandschaft - ohne Jäger geht, ja, dass es Natur und Tieren sogar viel besser geht.
Der Kanton Genf setzt auf Schadensprävention: Um Schäden durch Wildschweine in der Landwirtschaft zu verhindern, werden elektrische Zäune um die Kulturen aufgestellt. · Bild: Ars Ulrikusch - Shutterstock.com
Und was ist mit den Wildschweinen?
1974 waren die Wildschweine schon seit Jahrzehnten im Kanton Genf ausgerottet. Nach dem Jagdverbot haben die Wildschweine Genf von Frankreich aus wieder besiedelt.
In der abwechslungsreichen Landschaft des Kantons haben sich die Tiere sehr gut angepasst und schnell vermehrt. Schließlich wurden Schäden in der Landwirtschaft politisch untragbar und eine Regulierung des Bestandes notwendig. Ende des 20. Jahrhunderts sind die Wildschweinbestände regelrecht explodiert. »Diese Erfahrung hat man aber in ganz Europa gemacht, unabhängig von einem Jagdverbot«, so Faunainspektor Gottlieb Dandliker. Weil die Wildschweine jetzt nicht nur Schäden im Mais verursachten, sondern auch im Herbst an die Weinreben gingen, kam es zu einer »Wildschweinkrise« in Genf. »Und da haben sie meinen Posten geschaffen«, erzählt der Biologe.
Genf setzt auf Schadensprävention: Um Schäden durch Wildschweine in der Landwirtschaft zu verhindern, werden elektrische Zäune um die Kulturen aufgestellt. »Das ist eigentlich ganz einfach - da reichen zwei Bänder«, erklärt Dandliker. Diese Methode sei sehr effizient. Doch es habe lange gedauert, die Landwirte davon zu überzeugen. Bei den Weinbergen müsse man nur die Reben in der Nähe von Wildschwein-Einständen und die besonders frühen Sorten schützen. Wenn es später Eicheln im Wald gebe, gingen die Wildschweine nicht mehr in die Weinberge.
Weil das Schadenspotential durch Wildschweine in der Landwirtschaft hoch ist, hat die Regierung einen Beschluss gefasst, die Wildschweine durch Abschüsse zu regulieren. »Diese Regulation erfolgt ausschließlich durch Wildhüter«, so Gottlieb Dandliker. Für diese »Gardes de l’environnement« spielen Sicherheit, Ethik und Tierschutz eine große Rolle: »Wir können uns nicht einen einzigen Unfall leisten.« Tierschutz bedeutet vor allem die Vermeidung von angeschossenen Tieren. »Das passiert massenweise in der Umgebung, im Waadtland, in Frankreich. Da werden Treibjagden gemacht, die Tiere werden angeschossen, man findet sie oder findet sie nicht - oder erst eine Woche später«, berichtet der Faunainspektor. »Stresssituationen wie bei Treibjagden gibt es bei unserer Regulation nicht.« Die Abschüsse erfolgen mit der Garantie, dass das Tier sofort getötet wird, was nach Angaben des kantonalen Amtes für Landwirtschaft und Natur bei 99 Prozent der Abschüsse der Fall ist. Am meisten werden Jungtiere geschossen (rund 80 Prozent). Die Leitbachen und die großen Eber werden nicht geschossen. »Dadurch erhoffen wir uns eine Stabilität in der Rotte und im Verhalten der Tiere«, erklärt Dandliker. »Wir haben hier regelmäßig Gruppen von Wildschweinwaisen von der französischen Jagd, die ihre Mutter verloren haben und in die Dörfer kommen.« Solche führungslosen rischlinge können natürlich große Schäden verursachen. Und es ist bekannt, dass sich Wildschweine nach Abschuss der Leitbache unkontrolliert vermehren.
Aufgrund des hohen Jagddrucks im angrenzenden Frankreich und im Kanton Waadt suchen Wildschweine sogar Asyl in Genf - sie schwimmen teilweise sogar über die Rhône.
Für die Dezimierung der Wildschweine wird nur rund eine Vollzeitstelle aufgewendet oder im Schnitt 1.621 Stunden. Heute leben auf einem Quadratkilometer Wald rund fünf Wildschweine - ein tiefes Niveau, das stabil bleibt.
»In den letzten Jahren hat ein Wandel stattgefunden, auch bei den Bauern, die grundsätzlich sehr gegen das Schwarzwild sind«, so Faunainspektor Dandliker. »Auch wenn es Schaden macht: Das Wildschwein ist ein Tier, das einfach zur Landschaft gehört, und ist in diesem Sinn inzwischen akzeptiert.«
Jagdverbot: Die Bevölkerung steht dahinter
Was ist nun die gesellschaftliche Bilanz des Jagdverbots? Das Jagdverbot hindert ein paar Hundert von 500.000 Genfern an der Ausübung ihres Hobbys im eigenen Kanton. Doch die Vorteile für die große Mehrheit der Menschen sind bemerkenswert: Das Jagdverbot ermöglichte eine große Artenvielfalt in dem Kanton und macht Wildtiere für die Menschen erlebbar. Und: Das Jagdverbot erhöhte die Sicherheit für Spaziergänger: »Im angrenzenden Waadtland oder in Frankreich kann man im Herbst nicht einfach so spazieren gehen«, so Faunainspektor Gottlieb Dandliker. Immer wieder kommt es dort zu Jagdunfällen. Die Bevölkerung von Genf steht laut repräsentativen Meinungsumfragen mit großer Mehrheit hinter dem Jagdverbot. Somit wird in Genf seit einem halben Jahrhundert auf einer großen Fläche und in einer Kulturlandschaft ein einmaliges Experiment erfolgreich durchgeführt.
Natur und Tiere werden wieder erlebbar
er Kanton Genf setzt sich mit einer Fülle von Maßnahmenplänen und konkreten Projekten für den Schutz und die Förderung der biologischen Vielfalt ein. Über den ganzen Kanton ist ein Netzwerk von unterschiedlichen Lebensräumen wie Gewässern und Wald entstanden, in der eine Vielzahl von zum Teil seltenen Tieren und Pflanzen eine Heimat gefunden haben. In einer Langzeitstudie wurde eine starke Zunahme der Biodiversität im Kanton Genf festgestellt.
Elf professionelle Wildhüter (Gardes de l’environnement) sind mit der Aufsicht über die Flora und Fauna betraut. Diese Naturschützer erledigen eine Vielzahl von Aufgaben wie die Kontrolle der Naturreservate, Wildschadenverhütung und die Überwachung der Fischerei. Im direkten Kontakt mit der Bevölkerung sind sie auch in der Umweltbildung tätig.
Laut Genfs Faunainspektor Dandliker kostet der Einsatz der professionellen Wildhüter den Steuerzahler pro Jahr weniger als eine Tasse Kaffee: Insgesamt sind es rund 1.200.000 Franken auf 500.000 Einwohner - und zwar inklusive Wildschadensprävention in der Landwirtschaft (ca. 250.000 Franken) und Entschädigungszahlungen an die Landwirte (ca. 350.000 Franken). Die Genfer zahlen gerne für die Wildhüter: Sie schätzen es, dass eine große Vielzahl an Vögeln, Feldhasen, Rehe, sogar Hirsche und andere Tiere für Spaziergänger und Erholungssuchende wieder erlebbar geworden sind. Faunainspektor Dandliker weist darauf hin, dass das Jagdverbot den Kanton günstiger kommt als die Hobbyjagd: Denn für eine Jagdbehörde wären mindestens zwei Vollzeitstellen nötig, während für die Wildschweinregulation eine Vollzeitstelle aufgewendet wird.
»Für die städtische Bevölkerung ist die Natur eine Bereicherung«, so lautet das Credo von Gilles Mulhauser, ab 2009 Leiter des Amtes für Natur und Landschaft und jetzt Direktor des Wasseramtes. Das Programm »Natur in der Stadt« vernetzt städtische Grünflächen mit dem Umfeld und fördert die Anlage von Biotopen. Für öffentliche Gartenanlagen gilt die »Garten-Charta« für ökologische Bewirtschaftung und Förderung der Artenvielfalt. Kein Wunder, dass es viele Tiere auch in die Stadt zieht. An vielen Orten informieren Schautafeln über einen Lebensraum und seine Bewohner.
Quellen:
· 50 Jahre ohne Hobby-Jagd im Kanton Genf. wildbeimwild.com, 31.3.2024
· Gottlieb Dandliker, Faunainspektor im Kanton Genf - Vortrag »Jagdverbot: wissenschaftlich möglich und praktisch bewiesen« am 15.10.2013 an der Uni Basel · www.jagdreguliertnicht.ch
· Bundesamt für Umwelt BAFU: Vorbild Genf. Aus: Umwelt 2/2013,
Thema »Biodiversität«· www.bafu.admin.ch/magazin2013-2-02
· BirdLife International (2012) Important Bird Areas factsheet: River Rhone: Geneva to Verbois reservoir.
Interview mit Gilles Mulhauser: »Unser Naturerbe ist ein kollektives Gut«
Gilles Mulhauser leitete ab 2009 das Amt für Natur und Landschaft Kanton Genf und ist jetzt Directeur général des Kantonalen Wasseramts und im Komitee Internationale Initiativen für die Zukunft großer Flüsse.
FREIHEIT FÜR TIERE: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Auswirkungen des Jagdverbots?
Gilles Mulhauser: Es gibt verschiedene Auswirkungen. Die erste Auswirkung - die bei der heutigen Generation schon in Vergessenheit geraten ist - ist sicherlich die Tatsache, dass durch das Jagdverbot die Risiken für die Bevölkerung weniger geworden sind, und damit haben die Menschen viel mehr Möglichkeiten, sich in freier Natur zu bewegen. Die zweite Auswirkung besteht darin, dass verschiedene Tierarten ruhiger leben können. Dies betrifft vor allem die Vögel und die Huftiere. Dadurch sind die Tiere für die Menschen wieder erlebbar geworden. Die dritte Auswirkung ist die Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Frankreich, was zum Beispiel die Wanderwege für Hirsche betrifft.
FREIHEIT FÜR TIERE: Der Kanton Genf hat infolge des Jagdverbots inzwischen internationale Bedeutung für den Vogelschutz bekommen. Was macht die Gebiete rund um den Genfer See und die Rhône so wertvoll?
Gilles Mulhauser: Weil die Vögel weniger gestört werden - durch das Jagdverbot, aber auch durch eine gewisse Regulation der Schifffahrt - sind Ruhezonen für viele Vogelarten entstanden. Es gibt schon seit hundert Jahren lokale Jagdverbote. Aber jetzt, da das Jagdverbot für den ganzen Kanton gilt, ist ein echtes Naturreservat entstanden.
FREIHEIT FÜR TIERE: In jagdfreien Gebieten wie Nationalparks oder Großstädte wie Berlin oder Zürich - verlieren die Tiere ihre große Scheu vor den Menschen und werden für die Bevölkerung wieder erlebbar. Wie sind die Erfahrungen in Genf als doch sehr dicht besiedeltem Kanton?
Gilles Mulhauser: Wir stellen die gleichen Phänomene fest. Einige Tierarten haben ihren Lebensraum in der Stadt gefunden, zum Beispiel der Fuchs. Die Beschaffenheit der Landschaft mit zwei großen Flüssen und Auwäldern sowie der Wechsel von bewaldeten Hügeln und landwirtschaftlichen Flächen begünstigen das Vorkommen von Tierarten in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten (Rehe, Hirsche, Biber, Gänsesäger, Wanderfalke, Wildschweine, Fledermäuse, Dachse, etc...).
FREIHEIT FÜR TIERE: Es gibt Bilder von Hirschen und Rehen aus dem Kanton Genf, die sich am helllichten Tag zeigen und mit etwas Glück von Spaziergängern zu beobachten sind.
Gilles Mulhauser: Ich persönlich denke, dass der direkte Kontakt mit der Natur und ihren typischen Tierarten, eine wesentliche Erfahrung ist. Es geht nicht nur darum, einen nachhaltigen Schutz von Natur in städtischen Gebieten zu ermöglichen - das Erleben der Natur ist eine große Quelle für die Gesundheit jedes einzelnen Bewohners.
FREIHEIT FÜR TIERE: Im Kanton Genf wird viel für den Schutz der Natur und die Förderung der biologischen Vielfalt getan. Ist ein friedliches Zusammenleben von Menschen, Tieren und Natur möglich?
Gilles Mulhauser: Sicherlich ja. Aber wir müssen immer wieder daran arbeiten, das Bewusstsein hierfür in allen Bereichen der Gesellschaft zu schaffen. Wenn Interessenkonflikte auf wichtigen landwirtschaftlichen Nutzflächen entstehen, darf es nicht darum gehen, alleine wegen kurzfristiger Interessen einzugreifen. Sondern es geht um das öffentliche Wohl und das gemeinschaftliche Interesse, nachhaltige Bewirtschaftung und eine dauerhafte Erhaltung der natürlichen Ressourcen (Bodenfruchtbarkeit, Bestäubung, natürliche Wasserreinigung usw.) zu gewährleisten. Unser Naturerbe ist ein kollektives Gut, das sich jeder aneignen und sich dafür verantwortlich fühlen muss.