Tiere sind uns näher als gedacht
Von Julia Brunke
Seit Jahrhunderten versucht der Mensch seine Einzigartigkeit zu begründen, die ihn angeblich von den Tieren grundsätzlich abhebt und die damit auch als Rechtfertigung dient, Tiere für unsere Zwecke einzusperren, zu töten und zu essen. Die besonderen Fähigkeiten, die den Menschen auszeichnen, sind seit jeher die Begründung für die Ungleichbehandlung von Tieren. Nebenbei bemerkt: In früheren Jahrhunderten war genau die Begründung für die Ungleichbehandlung von Sklaven, Menschen anderer Rassen oder die Ungleichbehandlung der Frau.
Lange Zeit galt der Gebrauch von Werkzeug als Alleinstellungsmerkmal des Menschen, das ihn von den Tieren abhebt. Doch dann entdeckten Forscher, dass Galapagos-Finken und neukaledonische Krähen kleine Äste als Werkzeug verwenden, um nach Insekten zu stochern. Schnell wurde die Definition des Alleinstellungsmerkmals geändert: Nicht der Gebrauch von Werkzeug unterscheidet den Menschen von den Tieren, sondern die Werkzeugherstellung. Doch dann entdeckte man, dass Brillenbären Stöcke zurecht brechen, um Früchte vom Baum zu holen und Affen Zweige so bearbeiten, bis sie eine optimale Termitenangel sind. Und dann stellten Forscher sogar noch fest, dass Schimpansen Werkzeuge verwenden, um damit Werkzeuge herzustellen Nichts war es wieder mit der Exklusivität des Menschen.
Lange war Stand der Wissenschaft, nur der Mensch verfüge über ein Ich-Bewusstsein. Heute weiß man, dass auch viele Tiere über Ich-Bewusstsein verfügen: Im Spiegel erkennen sich nicht nur Kinder ab drei Jahren, sondern auch Menschenaffen. Längst haben Forscher belegt, dass auch Delfine und andere Zahnwale, Elefanten und Elstern den Spiegeltest bestehen. Und Schweine können räumliche Informationen, die sie über den Spiegel bekommen, verarbeiten.
2015 wiesen italienische Forscher nach, dass auch Hunde ein eigenes Bewusstsein haben und sich selbst als Ich erkennen. Bisher hieß es, Hunde würden sich im Spiegeltest nicht selbst erkennen. Doch eine Schnupper-Variante des Spiegeltests bestehen sie sofort.
Die moderne Wissenschaft weist in immer neuen Studien darauf hin, dass viele Tiere logisch denken und kreative Ideen entwickeln, dass sie eine Vorstellung von Raum und Zeit haben, Entscheidungen treffen und fähig sind zu gezielten Problemlösungen. Und manche Tierarten verfügen offensichtlich über Selbstbewusstsein.
Verhaltensforscher haben in den letzten Jahrzehnten nachgewiesen, dass Tiere über ein reiches Sozialverhalten verfügen und wie wir Beziehungen und Freundschaften eingehen, dass sie Liebe und Trauer empfinden, ja, sogar Fairness, Mitgefühl, Empathie, Altruismus und moralisches Verhalten zeigen, das über Trieb- und Instinktsteuerung weit hinaus geht.
Zuletzt war das Sprachverständnis das Alleinstellungsmerkmal, was uns als ausschließlich menschliche Eigenschaft von den Tieren abhebt. Allerdings gibt es auch hier Einschränkungen: Einige Affen, die bei Menschen aufwuchsen, können sich in Taubstummensprache regelrecht unterhalten. Und jetzt haben die ungarischen Wissenschaftler in einer Aufsehen erregenden Studie nachgewiesen, dass Hunde Sprache im Gehirn genauso verarbeiten wie Menschen.
Lesen Sie dazu: Studie: Hunde verstehen jedes Wort
Da fragt man sich: Was finden Forscher als Nächstes heraus? Schweine sind bekanntlich noch intelligenter als Hunde. Sie gehören zu den intelligentesten Säugetieren. In Experimenten stellten sie unter Beweis, dass sie die Bedeutung von Worten wie Namen oder Kommandos schneller lernen als Hunde und sogar Geräte bedienen können. Schweine haben Selbstbewusstsein und können sich wie Menschen, Affen oder Elefanten selbst im Spiegel erkennen. - Mit welchem Recht essen Menschen Schweine?
Literatur:
Auch Hunde haben ein Ich . In: Freiheit für Tiere 2/2016
Die Gefühlswelt der Tiere: Liebe, Empathie und Intelligenz. In: Freiheit für Tiere 1/2015
Sind Tiere Persönlichkeiten? In: Freiheit für Tiere 4/2013
Das Schwein - eines der intelligentesten Tiere. In: Freiheit für Tiere 4/2012
Roberto Cazzolla Gatti: Self-consciousness: beyond the looking-glass and what dogs found there. In: Ethology Ecology & Evolution, 2015.
Immanuel Birmelin: Tierisch intelligent. Von zählenden Katzen und sprechenden Affen. KOSMOS, 2011
Claude Béata: Das Wagnis der Liebe - Was wir von den Tieren lernen können. Riemann-Verlag, 2014
Karsten Brensing: Persönlichkeitsrechte für Tiere. Herder-Verlag, 2013