Interview Prof. Winkelmayer: Ein Jäger steigt aus
Mit 16 machte er den Jagdschein, 37 Jahre lang ging er auf die Jagd. Dann hörte er von einem Tag auf den anderen mit dem Tiere töten auf. FREIHEIT FÜR TIERE sprach mit dem Veterinär Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer über seine Erfahrungen und die Gründe, warum er mit der Hobbyjagd Schluss gemacht hat.
Das Gespräch mit Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer führte Julia Brunke, Redaktion FREIHEIT FÜR TIERE
FREIHEIT FÜR TIERE: Lieber Herr Prof. Winkelmayer, Ihre Geschichte ist ja mehr als ungewöhnlich: Sie stammen aus einer Jägerfamilie und waren Jäger von Jugend an, Sie gingen jahrzehntelang auf die Jagd, machten mit Jagdfreunden Jagdreisen ins Ausland, waren im Jagdverband gut vernetzt, hielten Vorträge und schrieben Fachbücher über Wildfleischverarbeitung... und dann hörten Sie von einem Tag auf den anderen auf mit dem Schießen von Tieren und verkauften alle Ihre Gewehre. Erzählen Sie uns: Wie kam es dazu?
Rudolf Winkelmayer: Die Entscheidung, endgültig mit der Jagd aufzuhören, hat natürlich eine Vorgeschichte. Ich war sehr stark mit dem Tod konfrontiert: erstens bei der Jagd, zweitens als Amtstierarzt bei den Kontrollen an Schlachthöfen und drittens als praktizierender Fachtierarzt für Kleintiere bei der Euthanasie von Lieblingstieren, hauptsächlich Hunden und Katzen, für die ein Weiterleben nur mehr aussichtslose Qualen bedeutet hätte.
Ich habe nach Antworten gesucht, inwieweit wir töten dürfen und dies rechtfertigen können. Diese Antworten habe ich schließlich in der Philosophie, insbesondere der Tierethik, gefunden, mit der ich mich von da an intensiv beschäftigte. Die Quintessenz, die ich gefunden habe, lautet: Versuche, für so wenig Tötungen wie möglich verantwortlich zu sein. Das bewusste Quälen und Töten von Tieren ist - bei intellektueller Redlichkeit - nach heutigem Stand unseres Wissens nicht zu rechtfertigen. Leid vermeiden und Wohlbefinden fördern, ist eine universelle ethische Regel, zu der sich alle bekennen können und künftig auch tun sollten.
FREIHEIT FÜR TIERE: Wie haben Ihre ehemaligen Jägerkollegen reagiert?
Rudolf Winkelmayer: Da gibt es grob eingeteilt zwei Gruppen: Die diskursfähigen, sensiblen, empathischen Menschen beginnen zumindest nachzudenken und ihr Handeln zu hinterfragen. Das ist - wie bei mir selbst - ein langer, mühsamer Weg, der nicht sofort zum Aufgeben der Hobbyjagd führt, aber zumindest eindeutig seine Spuren in Richtung waidgerechterer Jagdausübung und deutlicher Reduktion der Jagd führt.
Die andere Gruppe reagiert total ablehnend, von beleidigt bis aggressiv, nicht wirklich diskursfähig, da für sie das aus der Psychologie bekannte Phänomen der kognitiven Dissonanz zutrifft, mit dem sie nicht zurecht kommen wollen oder können. Ihr selbst zusammengebasteltes Weltbild würde zusammenbrechen, wenn sie sich ernsthaft den von mir aufgeworfenen Fragen stellen würden.
FREIHEIT FÜR TIERE: Die Jagd ist ein Hobby, das nur etwa 1,5 Prozent der Bevölkerung in Österreich und nur etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ausüben. Die große Mehrheit der Bevölkerung steht der Jagd - vor allem bestimmten Jagdarten wie der Fallenjagd, der Gatterjagd, der Auslandsjagd oder dem Abschuss von Hunden und Katzen -inzwischen recht kritisch gegenüber. Doch warum lässt eine entsprechende Reformierung der Jagdgesetze so lange auf sich warten?
Rudolf Winkelmayer: Ich kann das nur auf kurzsichtigen, aber sehr starken Lobbyismus zurückführen. Schließlich sitzen viele Hobbyjäger in höchsten Positionen und in politischen Ämtern. Der Mensch lebt bequem mit seinen Gewohnheiten und will nichts ändern, so lange er nicht dazu gezwungen wird oder einen Vorteil davon hat. Und bekanntlich hinkt ja die Gesetzgebung immer mindestens ein bis zwei Jahrzehnte hinter den wissenschaftlichen Erkenntnissen hinterher. Das sehen wir ja auch in anderen Bereichen, wie dem Umwelt- und Klimaschutz.
FREIHEIT FÜR TIERE: Auf die Jagd sind Sie ja in Ihrer Freizeit gegangen. Von Beruf waren Sie Tierarzt und Amtsveterinär, so hatten Sie auch intensiven Einblick in die industrielle Tierhaltung für die Fleisch- und Milchproduktion. Doch dann hörten Sie auf, Fleisch zu essen. Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Rudolf Winkelmayer: Ja, mehrere: Als junger Tierarzt begann ich als Praxisassistent in einer Gemischtpraxis, also für Groß- und Kleintiere. Das Behandeln von Schweinen in kleinbäuerlichen Betrieben war tägliche Arbeit. Dabei entwickelte ich rasch ein unglaubliches Nahverhältnis und große Empathie zu den äußerst lieben, vertrauensseligen Schweinen, aber auch Kälbern. Ich fand es grausam, dieses Vertrauen der Tiere so zu missbrauchen und sie nur zum Zweck der alsbaldigen Schlachtung zu halten.
Später hielt ich selbst Schafe und Hühner, was mir anfangs sehr gefiel, mich aber natürlich unmittelbar mit der Tötung konfrontierte, da ja Herden nicht beliebig wachsen können und in der Regel für jeden Zugang durch Geburt ein anderes Tier abgegeben werden muss. Das wollte ich nicht und beendete die Tierhaltung - und konsequenterweise natürlich den Fleischkonsum.
Bald erkannte ich, dass die vegetarische Lebensweise nicht konsequent genug ist, da ja auch die Ei- und Milchproduktion insbesondere in der landwirtschaftlichen Intensivtierhaltung mit unglaublich viel Tierleid verbunden ist. Daher lebe ich seither vegan (so vegan als möglich).
Auch hinsichtlich der Aufgabe der Jagd gab es ein Schlüsselerlebnis: Grundsätzlich schon durch die intensive Beschäftigung mit der Tierethik sensibilisiert, machte ich eines Tages im Frühling eine Radtour über die Feldwege rund um meinen Heimatort. Dabei sah ich einige Junghasen, die übermütig und voll Lebensfreude in der milden Frühlingssonne spielten. Da dachte ich mir: Genau hier gehe ich ja im Herbst auf Niederwildjagd. Nein, das kann nicht sein, ich werde mich nicht mehr an der Tötung dieser und anderer Wildtiere beteiligen. Aus, Schluss!
Die moderne Wissenschaft
hat in zahlreichen Untersuchungen zweifelsfrei nachgewiesen, dass Tiere empfindungsfähige, Freude und Schmerz verspürende Wesen sind. Tiere verfügen über ein reiches Sozialverhalten und gehen wie wir Beziehungen und Freundschaften ein. Sie können Liebe und Trauer empfinden, ja, sogar Fairness, Mitgefühl, Empathie, Altruismus und moralisches Verhalten zeigen, das über Trieb- und Instinktsteuerung weit hinausgeht. · Bild: WildMedia - Shutterstock.com
FREIHEIT FÜR TIERE: Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Tierethik. Wie hat sich Ihre Sichtweise auf Tiere geändert?
Rudolf Winkelmayer: Der zentrale Ansatzpunkt ist (und bleibt) die Leidensfähigkeit von Lebewesen, wie sie schon Jeremy Bentham (1748 - 1832) postuliert hat und die nach aktuellem Stand der Wissenschaft zumindest für alle Wirbeltiere, sowie Zehnfußkrebse und Kopffüßler gegeben ist.
Die Leidesfähigkeit begründet ein Interesse leidensfähiger Lebewesen, frei von Leid zu sein. Da nach dem Gleichheits(grund)satz Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist, wird die gleiche (ähnliche) Berücksichtigung von Leid zur zentralen moralischen Frage. Leid empfindungsfähiger nichtmenschlicher Tiere ist somit gleich (ähnlich) zu behandeln wie menschliches Leid.
Weiterhin weisen die Erkenntnisse der Evolutions-, Kognitions- und Verhaltensbiologie (hinsichtlich ausgefeilter Überlebensstrategien) darauf hin, dass nicht nur Menschen, sondern auch nichtmenschliche Tiere ein Interesse daran haben, zu leben.
Für einen zeitgemäßen Umgang mit nichtmenschlichen Tieren liegen die Fakten auf der Hand. Ich zitiere den Philosophen Helmut Kaplan: Wir brauchen keine neue Moral, wir dürfen nur die Tiere nicht mehr aus unserer Moral ausschließen.
Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer, Jahrgang 1955, war bis zur Pensionierung praktischer Tierarzt, Amtstierarzt und Lebensmittelwissenschaftler. |