Niedersachsen: 1,4 Hektar Grundstück jagdfrei!
Ein 1,4 Hektar großes Grundstück südwestlichen Niedersachsen ist seit Dezember 2023 offiziell jagdfrei. Die Eigentümer sind Tier- und Naturschützer, die aus Liebe zu den Tieren seit vielen Jahren vegan leben. Im September 2020 stellten die Eheleute den Antrag auf jagdrechtliche Befriedung aus ethischen Gründen, weil sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, dass Jäger auf ihrem Grundstück Tiere töten. Nachdem die Jagdbehörde des Landkreises den Antrag ablehnte, erhoben die Tierfreunde mit Hilfe eines Rechtsanwalts Ende 2020 Klage vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück. Am 30. November 2023 kam es endlich zur Verhandlung. Weil die ethischen Gründe der Grundeigentümer derart fundiert waren, empfahl der Richter, dass der Landkreis die Flächen ab sofort als jagdfrei erklärt - und im Gegenzug die Klage zurückgenommen wird.
Anne Sybille v. Berswordt-Wallrabe und ihr Mann Martin haben den Hof in Alleinlage 2020 gekauft. Das Grundstück besteht aus etwa 4000 Quadratmetern Garten und Wohnhaus, der Rest war bis Ende 2022 Ackerfläche. Dann hat das Ehepaar die bis dahin vom Vorbesitzer verpachteten Äcker gemeinsam mit einer örtlichen Naturschutzstiftung renaturiert.
»Uns ist Natur- und Artenschutz sehr wichtig, durch die teilweise Bewaldung der Fläche können wir dafür zumindest im Rahmen des uns Möglichen etwas tun«, berichtet Anne Sybille. »Als wir vor drei Jahren aus der Stadt hier herzogen, wussten wir nichts von der Zwangsmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft. Uns schwebte vor - und das war auch Grund des Umzugs ins Ländliche -, Tieren in Not ein Zuhause zu geben. Eine Art privater Lebenshof also. Für meinen Mann und mich sind Tiere fühlende Wesen mit einem unbedingten Lebensrecht und sie gehören in unseren Augen hier bei uns zur Familie.«
Familie zieht aufs Land, um mit Tieren und Natur in Frieden zu leben... - Plötzlich ist der Hof von Jägern umstellt!
Als die Familie kurz nach dem Einzug an einem Samstag im September 2020 nachmittags nach Hause kam, war das Haus von acht bis zehn Männern in Warnwesten umstellt. »Sie trugen Gewehre. Einer hatte einen toten Hasen am Haken hängend in der Hand. Ein anderer schoss auf einen Hasen, der hastig vor den Kugeln weglief. Ein Tag, den ich als empfindsame Person nie vergessen werde«, erinnert sich Anne Sybille v. Berswordt-Wallrabe. »Als mein Mann die Herren bat, unser Grundstück zu verlassen, lachten sie und teilten uns mit, dass sie dazu befugt seien, hier zu zu jagen. Ich war erschüttert. Es hat einige gute Worte meines Mannes gebraucht, mich davon zu überzeugen, dass wir hier wohnen bleiben. Ich wollte nicht, dass auf unserem eigenen Grund und Boden Waffen zum Töten eingesetzt werden. Das ging gegen alle meine Prinzipien und ebenso gehen die meines Mannes.«
Die Tierfreunde informierten sich und fanden heraus, dass es mit § 6a Bundesjagdgesetz eine Möglichkeit gibt, mit der Grundstückseigentümer diese Situation für die Tierwelt ins Positive kippen können: durch die jagdrechtliche Befriedung aus ethischen Gründen.
September 2020: Antrag auf jagdrechtliche Befriedung aus ethischen Gründen
»Also setzten mein Mann und ich uns daran, einen Antrag auf jagdrechtliche Befriedung aus ethischen Gründen zu formulieren«, berichtet Anne Sybille v. Berswordt-Wallrabe. »Das war nicht schwer, schließlich lebe ich seit 1990 vegetarisch und seit nun bestimmt zehn Jahren vegan. Mein Mann ist seit 2002 Vegetarier und ebenfalls seit nun vier Jahren Veganer. Das nehmen wir so ernst, dass selbst unsere Autos keinerlei Leder im Innenraum aufweisen, wir entsprechend auf Pflegeprodukte verzichten, die tierische Anteile haben und zudem ehrenamtlich an vielen Stellen aktiv im Tierschutz tätig sind.«
November 2020: Jagdbehörde lehnt Antrag auf jagdrechtliche Befriedung ab - Grundstückseigentümer erheben Klage
Den Antrag auf jagdrechtliche Befriedung ihrer Flächen sendeten die Grundstückseigentümer an die zuständige untere Jagdbehörde des Landkreises. Doch statt die Jagd auf den Grundstücken der Tierfreunde zu verbieten, lehnte die Jagdbehörde den Antrag kurz darauf mit fadenscheinigen Begründungen ab: Die ethische Begründung sei zu wenig glaubhaft. »Ich bin ein gerechtigkeitsliebender Mensch und war sprachlos«, so Anne Sybille v. Berswordt-Wallrabe.
Die Grundstückeigentümer holten sich im November 2020 Rat bei Rechtsanwalt Peer Fiesel, dem Spezialisten auf dem Gebiet. »Mit seiner Hilfe gingen nochmals ein paar Schriftstücke hin und her, es gab keinerlei Bereitschaft unser Grundstück zu befrieden seitens des Landkreises«, berichtet die Tierschützerin. »Uns war klar: Landkreis und Jagdgenossenschaft wollten dem Antrag nicht zustimmen. Aus Prinzip. Also erhoben wir Klage gegen den ablehnenden Bescheid. Diese lag seit Ende 2020 dem Gericht vor.«
November 2023: Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück
Am 30. November 2023 kam es endlich zur Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück. »Von Beginn an zeigte sich der Richter erstaunt über die Nicht-Bereitschaft des Landkreises, dieses Grundstück aus ihrem Jagdgebiet zu befrieden, da es mit nur 0,9 Hektar Wald- und Wiesen-Fläche im Grunde für die Jagd keine große Rolle spielt«, berichtet Anne Sybille v. Berswordt-Wallrabe. »Rechtsanwalt Fiesel machte vor Gericht deutlich, dass unsere ethischen Beweggründe derart fundiert seien, dass überhaupt kein Zweifel bestehe, dass wir dieses Verfahren gewinnen würden. Der Richter schlug auch mit Blick auf das soziale Zusammenleben in der Region vor, sich friedlich und ohne Gerichtsentscheidung zu einigen, indem der Landkreis die Befriedung ausspricht und wir im Gegenzug die Klage zurückziehen.« Daraufhin besprach sich der Rechtsvertreter des Landkreises mit den Vertretern der Jagdgenossenschaft und stimmte dieser Einigung zu. Das Grundstück ist seit diesem Tag offiziell jagdrechtlich befriedet.
Seit 30.11.2023: »Keine Jagd mehr auf unserem kleinen friedlichen Land«
»Es waren drei sehr lange Jahre, drei Jahre des Wartens, drei Jahre, die nicht spurlos insbesondere an mir vorbeigegangen sind«, sagt Anne Sybille v. Berswordt-Wallrabe. »Wenn man aus Tierliebe selbst eine verletzte Feldmaus in die Tierklinik bringt, um sie einschläfern zu lassen, damit sie nicht leidet, dann steht das derart im Gegensatz zu dem, was die Jäger dort an diesem Tag im September 2020 auf unserem Grundstück getan haben - etwas, das man auf dem eigenen Land nie wieder erleben möchte. Es ist gut zu wissen, dass das in Zukunft auch nicht mehr passieren kann - zumindest nicht auf unserem kleinen friedlichen Land.«
Anne Sybille v. Berswordt-Wallrabe und ihr Mann Martin haben inzwischen ihren Traum von einem kleinen privaten Lebenshof wahr gemacht: »Mittlerweile leben bei und mit uns 25 Tiere: von Katzen über Hunde bis hin zu Kühen. Alle aus der Not gerettet, fanden sie hier für immer ein Zuhause. Sie als Individuen zu sehen, die es zu schützen gilt, ist unsere tiefste ethische Grundüberzeugung. Zu wissen, dass wir diesem Anspruch an ein Miteinander jetzt nicht nur im Wohnraum, auf dem Hof und im Gartenbereich gerecht werden, sondern unsere Wiesen, Hecken und Wäldchen ein Rückzugsort für Tiere sein können, macht uns mehr als glücklich. 1,4 Hektar sind nicht viel, bezogen auf die immensen Flächen, die in Deutschland bejagt werden. Aber es ist ein Anfang - und vor allem ist es ein Hektar weniger, auf dem Waffengebrauch legitim ist.« Die Hoffnung von Anne Sybille und Martin: »Auf dass mehr Menschen diesen Schritt gehen!«
Die beiden Tierfreunde haben ihre ethischen Überzeugungen durchgesetzt. Ihnen ist völlig bewusst, dass das friedliche Zusammenleben aller Menschen mit den Tieren leider noch ein fernes Ziel ist. Doch in ihren Augen sollte es doch eigentlich selbstverständlich sein, dass Menschen das Leben ihrer Mitgeschöpfe auf diesem Planeten achten und bewahren.
Zwangsbejagung verstößt gegen Menschenrechte
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinem Urteil vom 26.06.2012 im Verfahren Herrmann gegen Bundesrepublik Deutschland eine Verletzung von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 (Schutz des Eigentums) zur Europäischen Menschenrechtskonvention festgestellt: Es ist nicht mit dem in der Menschenrechtskonvention garantierten Schutz des Eigentums zu vereinbaren, wenn Grundstückseigentümer, welche die Jagd nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, zwangsweise Mitglied in Jagdgenossenschaften sind und damit die Jagd auf ihrem Eigentum dulden müssen. |
»Keine Jagd auf meinem Grundstück!« - Die rechtliche Grundlage
Generell unterliegen alle Flächen in Deutschland dem Jagdrecht. Jäger haben also grundsätzlich das Recht, überall außerhalb geschlossener Ortschaften die Jagd auszuüben. Alle Grundstücke im Außenbereich sind in einer Jagdgenossenschaft zusammengeschlossen, welche die Flächen an Jäger verpachtet. Dies bedeutet, dass Jäger auf privaten Grundstücken, die Teil einer Jagdgenossenschaft sind, die Jagd ausüben dürfen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte am 26.06.2012 entschieden, dass die Zwangsmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft gegen die Menschenrechte verstößt, sofern der Grundeigentümer die Jagd aus ethischen Gründen ablehnt. Am 6.12.2013 ist der § 6a Bundesjagdgesetz »Befriedung von Grundflächen aus ethischen Gründen« in Kraft getreten.
Der Antrag auf jagdrechtliche Befriedung
Eigentümerinnen und Eigentümer von Grundstücken, die im Außenbereich liegen und Teil einer Jagdgenossenschaft sind, können einen »Antrag auf jagdrechtliche Befriedung aus ethischen Gründen« bei der zuständigen Unteren Jagdbehörde (Teil des Landratsamtes oder der Stadt) stellen. Dazu benötigen Sie auf jeden Fall die Flurnummern. Sie müssen den Antrag immer für alle in Ihrem Besitz stehenden Grundstücke stellen.
Die Ablehnung der Jagd sollten Sie ausschließlich mit ethischen Motiven begründen und Ihren Gewissenskonflikt darlegen:
• Sie lehnen aus ethischen Gründen generell das Töten von Tieren ab (Vegetarier/Veganer).
• Sie können es nicht mit Ihrem Gewissen vereinbaren, wenn Jäger auf Ihrem Grundstück Wildtiere tot schießen und Sie Ihr Grundstück dafür gegen Ihren Willen und gegen Ihre ethische Überzeugung zur Verfügung stellen müssen.
• Sie lehnen aus Gründen des ethischen Tierschutzes und der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf ab, wildlebende Tiere zu jagen und hierbei durch Duldung der Jagd auf den eigenen Grundstücken mitzuwirken. Sie berufen sich auf das Tierschutzgesetz: »Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.« (§ 1 TierSchG) Die Hobbyjagd ist in Ihren Augen kein vernünftiger Grund.
Helfen Sie mit!
Viele Grundstückseigentümer, welche die Jagd auf ihrem Grund und Boden nicht länger dulden wollen, kommen erst durch die Hilfe eines Rechtsanwalts zum Ziel. Da dies für den einzelnen Tierfreund, der sein Grundstück jagdfrei stellen möchte, hohe Kosten bedeuten kann, können Sie mit einer Spende unterstützen. Je mehr Grundstücke in einem Bundesland bereits jagdfrei gestellt wurden, desto leichter wird es für weitere Grundstückseigentümer, die ebenfalls den Antrag auf jagdrechtliche Befriedung stellen. So können in Deutschland endlich die dringend benötigten Rückzugsgebiete für Wildtiere geschaffen werden.
Helfen Sie mit!
Wollen Sie die Bürgerbewegung Zwangsbejagung ade und damit betroffene Grundstückseigentümer, welche die Jagd auf ihren Flächen nicht länger dulden wollen, unterstützen? |