Niedersachsen: Biotop »Rüm Hart« wird jagdfrei!
Von Julia Brunke, Redaktion »Freiheit für Tiere«
Das Biotop »Rüm Hart« bei Osterholz-Scharmbeck nördlich von Bremen wird jagdfrei! 2017 hatte die Familie Janssen das 1,4 Hektar große Grundstück erworben, um dort Lebensraum für wild lebende Tiere zu schaffen. Die Janssens - Andrea und Dr. Dirk Janssen und ihre erwachsenen Kinder Malte und Bilke - können es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, wenn Jäger dieses Biotop betreten und dort Jagd auf freilebende Tiere machen. Bereits 2019 stellten die Eigentümer einen Antrag auf jagdrechtliche Befriedung des Biotops. Die Janssens mussten einen langen Atem unter Beweis stellen: Ende Februar 2024 kam endlich der erlösenden Bescheid der zuständigen Unteren Jagdbehörde über die jagdrechtliche Befriedung ihres Grundstücks.
Eine Insel für Amphibien, Vögel, Hasen und Rehe inmitten einer Agrarwüste
Die wunderschöne Fläche des Biotops »Rüm Hart« besteht aus einer Feuchtwiese, auf der eine auf der Roten Liste stehende Orchideenart vorkommt, sowie einem kleinen Auenwald, durch den sich ein Bach schlängelt.
Hier leben viele verschiedene Amphibienarten. Aber auch für vielen Vögel und Säugetiere bietet diese Fläche einen Rückzugsort. »Dieses Biotop ist praktisch eine bunte Insel innerhalb einer intensiv-landwirtschaftlich geprägten Wüste«, so Dr. Dirk Janssen. »Solche Orte werden als Sprungbretter zum Erhalt der Biodiversität leider immer wichtiger.«
2017: Die Familie Janssen gründet eine Familienstiftung und erwirbt das Biotop »Rüm Hart«
Die Familie Janssen hat 2017 die Familienstiftung »Rüm Hart« mit dem Satzungszweck »Umwelt- und Tierschutz« gegründet. Ziel ist es, kleine Biotope zu errichten, um die dort vorhandene Artenvielfalt insbesondere vor schädlichen Eingriffen des Menschen zu schützen. »Rüm Hart« ist friesisch und bedeutet »weites Herz«. »Unserer kleinen Familienstiftung liegt der Umwelt- und Tierschutz am Herzen«, erklärt Dr. Dirk Janssen. »Die Naturräume sind bekanntermaßen überall bedroht und auf dem Rückzug. Unser Antrieb ist, dass wir - die jetzt lebenden Menschen - noch etwas ändern und die Biodiversität retten können.«
Als erstes Projekt hat die »Rüm Hart«-Stiftung eine 1,4 Hektar große Teilfläche eines besonders geschützten Biotops nach § 28a NNatG und Bestandteil des Landschaftsschutzgebiets Oberlauf des Scharmbecker Baches erworben.
Jäger stellt Hochsitz mitten im Biotop auf
Kurz nachdem die Familie Janssen das Biotop erworben hatte, stellte ein Jäger einen Hochstand auf dem Grundstück auf und machte von dort aus Jagd auf freilebenden Tiere. »Als offenbar naive Städter waren wir komplett überrascht, dass der Hochstand ohne vorherigen Kontakt einfach auf unserer Fläche aufgestellt wurde«, berichtet Dr. Dirk Janssen. »Ich habe versucht, den Jäger im Rahmen eines Telefonats davon abzubringen, auf unserer Fläche zu jagen. Leider ohne Erfolg.«
2019: Erster Antrag auf jagdrechtliche Befriedung aus ethischen Gründen
Im Jahr 2019 bemühte sich die Familie Janssen um die jagdrechtliche Befriedung des Biotops »Rüm Hart«. Dr. Janssen beauftragte einen Rechtsanwalt. Die Familie erklärte in einer eidesstattlichen Versicherung mit bestem Wissen und Gewissen, dass sie die Jagd und die damit einhergehende Verletzung, Misshandlung und Tötung von Tieren generell und auf ihrem Grund und Boden ablehnen. Der Rechtsanwalt reichte einen Antrag auf Jagdbefriedung ein. Doch die zuständige Untere Jagdbehörde reagierte nicht auf den Antrag. Doch weil der Hochstand zeitweilig entfernt war, unternahm die Familie zunächst nichts weiter. Als der Hochstand wieder aufgestellt wurde, setzte sich Dr. Dirk Janssen 2022 mit der Initiative Zwangsbejagung ade in Verbindung und holte sich Rat.
2022: Ein neuer Vorstoß für die jagdrechtliche Befriedung
Die Familie Janssen startete einen neuen Vorstoß. Der nun beauftragte Rechtsanwalt Dr. Timo Hohmuth aus Hamburg riet zum Verkauf des Grundstücks, das sich im Eigentum der familieneigenen Umweltschutzstiftung »Rüm Hart« befand, an den Vorsitzenden der Stiftung, Dr. Dirk Janssen. Denn das Bundesjagdgesetz beschränkt die jagdrechtliche Befriedung von Grundflächen aus ethischen Gründen auf so genannte »natürliche Personen«. Die Familienstiftung der Janssens gilt jedoch als »juristische Person«. Obwohl es mittlerweile in einigen Bundesländern Rechtsprechung und jagdrechtliche Befriedungen auch zugunsten von Vereinen und Stiftungen gibt, wäre eine Durchsetzung dieses Rechts in Niedersachsen mit einem langjährigen und teuren Instanzenweg verbunden.
Nach Abwicklung des Kaufs stellte der Rechtsanwalt im Juni 2023 einen neuen Befriedungsantrag unter detaillierter Darlegung der ethischen Bewegungsgründe von Dr. Dirk Janssens: »Ich fühlte mich in die Zeit meiner Kriegsdienstverweigerung im Jahr 1988 zurückversetzt. Es ist eine irrwitzige Beweislastumkehrung, wenn ein jagdablehnender Mensch sich detailliert rechtfertigen muss, während Hobbyjäger für ihren blutigen Freizeitvertreib und dem Erwerb tödlicher Waffen keiner ernsthaften Kontrolle unterliegen.«
2024: Untere Jagdbehörde erlässt Bescheid über jagdrechtliche Befriedung
Dem permanenten Nachdruck des Rechtsanwalts ist es zu verdanken, dass am 29.02.2024 tatsächlich der positive Bescheid über die Befriedung des Grundstücks kam. »Ich war total überrascht, dass dies nun ohne weitere Anhörungen bzw. gar einer nötigen Untätigkeitsklage tatsächlich beschieden wurde - allerdings mit einem großen Wermutstropfen: Die Befriedung erfolgt erst mit Ende des laufenden Jagdpachtvertrages zum 01.04.2026«, erklärt Dr. Janssen.
Nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es nicht verhältnismäßig, einem Grundeigentümer, den die Duldung der Jagdausübung auf seinen Grundstücken in ernste Gewissensnot bringt, grundsätzlich eine Fortsetzung der Jagd bis zum Ende des Jagdpachtvertrages zuzumuten (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.06.2020 - 3 C 1/19 - AUR 2020, 420, 422). Eine Durchsetzung dieses Urteils gegenüber der Jagdbehörde wäre allerdings nur per Klage und gegebenenfalls über einen entsprechenden Instanzenweg möglich gewesen. »Ob dies zu einer schnelleren Jagdbefriedung geführt hätte, ist zweifelhaft«, meint Dr. Janssen nach Beratung mit seinem Rechtsanwalt. »Es hätte auf jeden Fall weitere nicht unerhebliche Gelder benötigt, die wir lieber in direkte Naturschutzmaßnahmen als in Gerichtskosten und Behördengebühren investieren möchten. Es bleibt also ein weinendes und ein lachendes Auge: Zum einen müssen wir noch 25 weitere Monate das Töten in dem Biotop ertragen, zum anderen ist es dann aber endgültig damit vorbei. Wir sind unserem Rechtsanwalt und der Initiative Zwangsbejagung ade für die Unterstützung sehr dankbar!«
Informationen
Rüm Hart - Rechtsfähige gemeinnützige Stiftung |
Zwangsbejagung verstößt gegen Menschenrechte
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinem Urteil vom 26.06.2012 im Verfahren Herrmann gegen Bundesrepublik Deutschland eine Verletzung von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 (Schutz des Eigentums) zur Europäischen Menschenrechtskonvention festgestellt: Es ist nicht mit dem in der Menschenrechtskonvention garantierten Schutz des Eigentums zu vereinbaren, wenn Grundstückseigentümer, welche die Jagd nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, zwangsweise Mitglied in Jagdgenossenschaften sind und damit die Jagd auf ihrem Eigentum dulden müssen. |
»Keine Jagd auf meinem Grundstück!« - Die rechtliche Grundlage
Generell unterliegen alle Flächen in Deutschland dem Jagdrecht. Jäger haben also grundsätzlich das Recht, überall außerhalb geschlossener Ortschaften die Jagd auszuüben. Alle Grundstücke im Außenbereich sind in einer Jagdgenossenschaft zusammengeschlossen, welche die Flächen an Jäger verpachtet. Dies bedeutet, dass Jäger auf privaten Grundstücken, die Teil einer Jagdgenossenschaft sind, die Jagd ausüben dürfen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte am 26.06.2012 entschieden, dass die Zwangsmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft gegen die Menschenrechte verstößt, sofern der Grundeigentümer die Jagd aus ethischen Gründen ablehnt. Am 6.12.2013 ist der § 6a Bundesjagdgesetz »Befriedung von Grundflächen aus ethischen Gründen« in Kraft getreten.
Der Antrag auf jagdrechtliche Befriedung
Eigentümerinnen und Eigentümer von Grundstücken, die im Außenbereich liegen und Teil einer Jagdgenossenschaft sind, können einen »Antrag auf jagdrechtliche Befriedung aus ethischen Gründen« bei der zuständigen Unteren Jagdbehörde (Teil des Landratsamtes oder der Stadt) stellen. Dazu benötigen Sie auf jeden Fall die Flurnummern. Sie müssen den Antrag immer für alle in Ihrem Besitz stehenden Grundstücke stellen.
Die Ablehnung der Jagd sollten Sie ausschließlich mit ethischen Motiven begründen und Ihren Gewissenskonflikt darlegen:
• Sie lehnen aus ethischen Gründen generell das Töten von Tieren ab (Vegetarier/Veganer).
• Sie können es nicht mit Ihrem Gewissen vereinbaren, wenn Jäger auf Ihrem Grundstück Wildtiere tot schießen und Sie Ihr Grundstück dafür gegen Ihren Willen und gegen Ihre ethische Überzeugung zur Verfügung stellen müssen.
• Sie lehnen aus Gründen des ethischen Tierschutzes und der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf ab, wildlebende Tiere zu jagen und hierbei durch Duldung der Jagd auf den eigenen Grundstücken mitzuwirken. Sie berufen sich auf das Tierschutzgesetz: »Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.« (§ 1 TierSchG) Die Hobbyjagd ist in Ihren Augen kein vernünftiger Grund.
Helfen Sie mit!
Viele Grundstückseigentümer, welche die Jagd auf ihrem Grund und Boden nicht länger dulden wollen, kommen erst durch die Hilfe eines Rechtsanwalts zum Ziel. Da dies für den einzelnen Tierfreund, der sein Grundstück jagdfrei stellen möchte, hohe Kosten bedeuten kann, können Sie mit einer Spende unterstützen. Je mehr Grundstücke in einem Bundesland bereits jagdfrei gestellt wurden, desto leichter wird es für weitere Grundstückseigentümer, die ebenfalls den Antrag auf jagdrechtliche Befriedung stellen. So können in Deutschland endlich die dringend benötigten Rückzugsgebiete für Wildtiere geschaffen werden.
Helfen Sie mit!
Wollen Sie die Bürgerbewegung Zwangsbejagung ade und damit betroffene Grundstückseigentümer, welche die Jagd auf ihren Flächen nicht länger dulden wollen, unterstützen? |