Pferden Freiheit schenken
Buchvorstellung von Julia Brunke, Redaktion FREIHEIT FÜR TIERE
Ein einziger Augenblick verändert das Leben und auf einmal ist nichts mehr so, wie es einmal war. So wurde das Praktikum in einem Schlachthof während ihres Studiums der Tiermedizin und die unmittelbare Konfrontation mit dem Tod so vieler Tiere für Andrea Höhse der Beginn einer sehr bewegenden Reise. Nicht nur ihre Sicht auf so genannte »Nutz«tiere veränderte sich, auch die Sichtweise auf ihre geliebten Pferde.
Der Weg einer Tierärztin
Andrea Höhse ist Tierärztin und Pferdewirtin mit Schwerpunkt Zucht und Haltung. Sie wurde 1980 in Hamburg geboren und wuchs im schleswig-holsteinischen Ahrensburg auf. Schon in früher Kindheit entdeckte sie die Liebe zu den Pferden. Seitdem sind Pferde ein fester Bestandteil in ihrem Leben, sowohl beruflich als auch privat. Aus Liebe zu den Tieren entschied sich Andrea Höhse, Tierärztin zu werden. Während des Studiums der Veterinärmedizin in Berlin wurde sie mit vielen Formen der industriellen Tierhaltung konfrontiert.
»Ich habe mich für den Beruf der Tierärztin entschieden, weil ich den Tieren eine Stimme geben wollte«, berichtet sie gegenüber FREIHEIT FÜR TIERE. »Im Laufe der Zeit musste ich aber feststellen, dass es in dem System der Tiernutzung sehr wenig Platz für die Bedürfnisse der Tiere gibt und die Menschen diese wunderbaren Lebewesen für alle möglichen Zwecke ausnutzen und damit immenses Leid verursachen. Schon die Besichtigung von diversen Mastanlagen während des landwirtschaftlichen Praktikums, aber ganz besonders auch der erste Besuch eines Schlachthofs im Rahmen des Studiums, haben mich tief geprägt und meine Sicht auf die Haltung und Nutzung von Tieren maßgeblich verändert.«
»Fleisch war für mich ein Lebensmittel
und ich hatte diese Art zu denken bis dahin auch nie angezweifelt.« Doch im Schlachthof konnte sie in dem Moment wahrnehmen, dass es sich nicht um ein anonymes Stück Fleisch handelte, sondern sie konnte das Tier dahinter sehen: »Ich nahm das Tier wahr, das nur gehalten und getötet worden war, damit es auf meinem Teller liegen würde.«
Das Schlachthofpraktikum während des Studiums wurde zum Schlüsselerlebnis
Die intensive Auseinandersetzung mit Massentierhaltung und dem Leid der Tiere in Schlachthöfen führte zu der Entscheidung, dass sie an diesem Leid keinen Anteil mehr haben wollte. Seither lebt Andrea Höhse vegan.
Nach dem Studium zog die frisch gebackene Tierärztin wieder zurück nach Schleswig-Holstein, wo sie fast zehn Jahre lang in der Nähe von Elmshorn in einer Pferdeklinik als Tierärztin arbeitete. Hier musste sie erfahren, dass nicht nur in der industriellen Massenhaltung Tiere leiden. Auch viele Pferde werden nicht ihrer Art entsprechend gehalten und leiden unter den Haltungsbedingungen. Außerdem müssen viele Pferde schon in jungen Jahren aufgrund von akuten und chronischen Erkrankungen eingeschläfert werden, die durch die nicht pferdegerechte Haltung verursacht werden.
Pferdezucht ist in der Regel ein reines Geschäft.
Ein junges Pferd, das nicht die richtigen Rassemerkmale mitbringt oder sich nicht zum gewünschten Preis verkaufen lässt, landet nicht selten beim Metzger – in der Haflingerzucht enden 80 bis 90 Prozent der Fohlen »in der Wurst«. Hinzu kommt: Viele Pferde entwickeln aufgrund der nicht pferdegerechten Behandlung durch ihre Reiter Verhaltungsstörungen, so dass sie als aggressiv oder gefährlich gelten - was oft das Todesurteil bedeutet. · Bilder: Freiheit für Tiere
»Im Rahmen meiner tierärztlichen Tätigkeit in einer Pferdeklinik ist mir immer bewusster geworden, wie sehr die heutige Pferdehaltung und -nutzung von dem abweicht, was den natürlichen Bedürfnissen dieser wunderschönen Tiere entspricht und dass daraus folgend so viele der physischen und auch psychischen Krankheiten entstehen, die ich immer wieder und wieder behandeln musste«, erklärt Andrea Höhse. »Ich habe jahrelang versucht, im Rahmen meiner Arbeit etwas zu verändern, habe versucht, den Menschen bewusster zu machen, was Pferde wirklich brauchen, aber ich hatte das Gefühl, die Menschen nicht wirklich zu erreichen. Weiterhin Teil dieses Systems zu sein, war dann irgendwann keine tragbare Option mehr für mich und so habe ich mich aus dem tierärztlichen Beruf zurückgezogen.«
Andrea Höhse hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebensumstände sowohl für die Pferde als auch für die Nutztiere zu verbessern und die Menschen auf die Missstände aufmerksam zu machen, die mit der Haltung und Nutzung dieser Tiere einhergehen. Aus diesem Grund hat sie ein Buch geschrieben. Der Titel: »Pferden Freiheit schenken«.
»Ich habe in dem Buch viele meiner Erfahrungen und Erlebnisse niedergeschrieben und hoffe sehr, dass meine Worte so viele Menschen wie möglich erreichen werden«, sagt Andrea Höhse. »Es geht mir darum, eine größere Bewusstheit zu erschaffen für das Leid aller vom Menschen genutzten Tiere und einen Impuls zu geben, etwas daran zu verändern.«
Durch die Schilderung ihrer Erfahrungen als Tierärztin und Pferdewirtin wird deutlich, in welchem Ausmaß die Pferde darunter leiden, in einer Umwelt leben zu müssen, die ihren ursprünglichen biologischen Anlagen nicht annähernd entspricht. In diesem sehr persönlichen Buch geht es aber nicht allein um Pferde. Andrea Höhse berichtet ausführlich über ihre Erfahrungen mit dem Leid der Tiere in der industriellen Massentierhaltung und in Schlachthöfen und ihrem Weg zur veganen Lebensweise.
... als wäre mir das Schlachtermesser in mein eigenes Herz gestochen worden
Während des Studiums gab es diesen einen Augenblick, der in ihrem Leben so vieles verändert hat und der ihr bisheriges Weltbild in Bezug auf den Fleischkonsum und die Nutzung von Tieren um 180 Grad gedreht hat. Andrea Höhse sollte an einem schönen Frühlingstag mit einigen Kommilitonen einige Fleischproben für ein paar Tests an der Uni nehmen. Inmitten einer wunderschönen Landschaft mit blühenden Rapsfeldern und grünen Bäumen stand der Schlachthof, seltsam surreal. »Vor einem der Gebäude drängten sich hunderte von süßen, wolligen Schafen, eigentlich noch fast Lämmer, und ihr verzweifeltes Blöken transportierte ihre Angst über diese Situation nur zu deutlich nach draußen. Ein Schaf nach dem anderen wurde von dem gewaltigen Gebäude scheinbar verschluckt, keines von ihnen würde es je wieder lebend verlassen. ... Ich trat gemeinsam mit unserer Betreuerin vom Institut für Fleischhygiene und den anderen Studenten durch die massive, stählerne Eingangstür und stand dann in der großen Schlachthalle, wo mir ein bizarres Bild von toten Schafkörpern und unterschiedlichen Graden der Zerlegung dargeboten wurde, die an Fleischerhaken aufgespießt quer durch die riesige Halle transportiert wurden.«
Im eigentlichen Schlachtbereich blieb Andreas Blick an den sanften, schwarzen Augen der Schafe hängen: »Es erschien mir so, als würden mich die Schafe ängstlich fragen, was nun mit ihnen passieren würde. Vollkommen unvermittelt fühlte ich einen heftigen Schmerz tief in meiner Brust, als wäre mir das große Schlachtermesser direkt in mein eigenes Herz gestochen worden. Mir stockte der Atem und ein fürchterlich beklemmendes Gefühl breitete sich rasend schnell in meinem Inneren aus.« Der Studentin wurde zum ersten Mal im Leben wirklich bewusst, dass Fleisch essen bedeutet, lebendige Tiere zu töten. Die Bilder aus dem Schlachthof brannten sich in Andreas Gedächtnis ein: »Die vielen Schafe, die dort direkt vor mir standen, waren real. ... Ich wollte nicht, dass sich all diese schönen Augen, die mich weiterhin so intensiv anblickten, im nächsten Moment für immer schließen würden. Doch es passierte und ich vermochte nichts dagegen zu unternehmen, die Maschinerie der Fleischproduktion lief einfach weiter und weiter. Strom floss durch die zarten Körper, wenn die Elektrozange sich um ihre Köpfe schloss und so ihre Sinne betäubte. Sie sanken bewusstlos nieder. Mit einer Kette um den Fuß wurde der leblose Leib hochgezogen und eine scharfe Klinge durchtrennte anschließend die Kehle eines jeden Tieres von links nach rechts mit einem langen und tiefen Schnitt durch das lebende Gewebe. Es floss warmes, rotes Blut aus ihren Körpern, sehr viel Blut, und mit diesem Blut rann auch ihr Leben langsam und stetig aus ihren hinaus. Ein Schaf nach dem anderen folgte seinen Gefährten und dieser Vorgang würde sich immer weiter wiederholen.«
Andrea Höhse hatte ihr ganzes bisheriges Leben Tiere gegessen und war dabei immer davon ausgegangen, dass dies völlig normal wäre: »Fleisch war für mich ein Lebensmittel und ich hatte diese Art zu denken bis dahin auch nie angezweifelt.« Doch im Schlachthof konnte sie in dem Moment wahrnehmen, dass es sich nicht um ein anonymes Stück Fleisch handelte, sondern sie konnte das Tier dahinter sehen: »Ich nahm das Tier wahr, das nur gehalten und getötet worden war, damit es auf meinem Teller liegen würde.«
Andrea Höhse wollte Tierärztin werden, weil sie Pferden helfen und beruflich den ganzen Tag mit ihnen verbringen wollte. »Ich verspürte große Lust dazu, mich den spannenden Herausforderungen zu stellen, welche die Medizin an sich und die Behandlung von Pferden mit sich bringen würden. Pferden auf diese Weise helfen zu können, war für mich Grund genug, mich fast sechs Jahre durch das anspruchsvolle Studium zu kämpfen.« Nach dem Studium begann sie ihre Arbeit in einer Pferdeklinik.
Im Laufe der Zeit erkannte sie, dass viele Pferde alles andere als pferdegerecht gehalten werden. » Jedes Mal, wenn ich als Tierärztin zu einem Patienten gefahren bin und einen der vielen Reitställe unseres Kundengebietes betreten musste, breitete sich eine immer stärker werdende, fast erdrückende Enge und Beklommenheit über die Zustände der dortigen Pferdehaltung in mir aus. Ich sah nur Gitterstäbe in endloser Reihe, die sanfte Pferdenasen ummanteln.«
Das war nicht immer so gewesen: »Früher betrat ich eine Stallgasse und fühlte Freude und Geborgenheit dabei. Ich sah die Pferde in ihren sauberen, mit goldenem Stroh gefüllten Boxen, hörte die leise mahlenden Kaubewegungen der Pferde und meine Welt war in Ordnung.«
Heute blickt sie mit anderen Augen auf Pferdeställe. Nicht nur, dass ihr die Pferde in den langen Reihen kleiner Boxen mit Gitterstäben links und rechts wie in einem Gefängnis vorkommen. Ihre Erfahrungen als Tierärztin und Pferdewirtin zeigten Andrea Höhse auch, dass diese Haltung Pferde körperlich und seelisch krank macht: »Rationierte Fütterung, Bewegungsmangel und Isolation sind hier für alle Normalität, genauso wie Koliken, Magengeschwüre und Sehnenschäden, die so häufig aus dieser Art der Haltung resultieren. Wir können nicht ein Flucht- und Herdentier wie das Pferd einsperren, seine Bewegung kontrollieren und ihm sein Futter nach unseren Vorstellungen zuteilen, ohne die erheblichen Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Pferdes in Kauf zu nehmen.«
Warum Pferde Freiheit brauchen
Andrea Höhse erklärt, was Pferde für ein gesundes und ihrer Art gerechtes Leben brauchen: »Pferde sollten sich mindestens 16 Stunden am Tag langsam fressend fortbewegen, dabei strukturreiches Raufutter aufnehmen und das in möglichst vielfältiger Zusammensetzung aus unterschiedlichen Gräsern und ein gewisser Anteil verschiedenster saisonaler Kräuter als Grundlage für eine naturnahe Ernährung. Die Pferde sollten genügend Platz zur Verfügung haben, um ihren Bewegungsbedarf ausreichend decken zu können und das im Rahmen eines stabilen Herdenverbandes, in dem sie sich permanent aufhalten können.«
Die Tierärztin sagt, sie wisse, dass man eine solche Haltung schwer finde bzw. kaum realisieren könne, aber das sei es nun mal, was die Pferde bräuchten. »Das ist von der Natur her so vorgegeben«, erklärt sie. »Sie sind damit bestens an ihren natürlichen Lebensraum angepasst worden, und nun versuchen wir Menschen, die Pferde in unsere Welt hineinzupressen.« Doch die Art, wie wir Pferde halten, hat Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Pferde. »Ich habe so viele Pferde mit Kolik behandeln müssen. In den meisten Fällen konnte ich die Schmerzen schnell mit einer krampflösenden Spritze auflösen, viel zu häufig aber war eine Operation oder sogar eine Euthanasie nötig, weil der Darm sich zu stark verdreht hatte, abzusterben drohte oder sogar schon abgestorben war. Ich habe nicht mitgezählt, wie viele Pferde ich wegen einer so schlimmen Kolik einschläfern musste, aber es müssen Hunderte gewesen sein.«
Viele Pferde werden auch psychisch krank, was sich in Verhaltensstörungen wie Koppen, Weben, Lippenklappern, Zungenstrecken, Gitterstäbe wetzen, Boxentüren beißen und exzessivem Scharren zeigt. Andrea Höhse hat dies bei ihrer Arbeit als Tierärztin regelmäßig beobachten müssen: »Um zu meinen Patienten zu gelangen, musste ich mir immer wieder meinen Weg durch diverse Stallgassen bahnen und sah dort viel zu häufig stark verhaltensgestörte Pferde stehen, die ihren Körper im webenden Rhythmus monoton immer wieder hin und her bewegten.«
Zusätzlich zur nicht pferdegerechten Haltung musste die Tierärztin bei den Pferden immer wieder körperliche Leiden und Schäden an Muskulatur, Gelenken und Knochen feststellen sowie psychischen Stress und Verhaltensstörungen aufgrund der Nutzung in den Reitställen. Oft beginne die Gewalteinwirkung der Reiter bereits beim Putzen (Anbinden mit Ketten) und Satteln. In ihrem Buch berichtet Andrea Höhse ausführlich und anschaulich von ihren Erfahrungen während der 10 Jahre in einer Pferdeklinik. »Es ist mir ein außerordentlich großes Bedürfnis und wahres Herzensanliegen, so vielen Pferdemenschen wie möglich zu verdeutlichen, welche zahlreichen negativen Auswirkungen für die Pferde entstehen, wenn sie auf diese Art von Menschen genutzt werden.«
All das offensichtliche und auch das weniger offensichtliche (menschengemachte) Leid der Pferde, das sie bei ihrer Arbeit als Tierärztin erlebte, führte Andrea Höhse schließlich zu der Entscheidung, ihre tierärztliche Tätigkeit aufzugeben.
Freiheit für Pferde
In ihrem Buch beschreibt Andrea Höhse auf sehr ehrliche und emotionale Weise auch den Weg mit ihren eigenen Pferden Balu und Cara: Haben wir das Recht, Pferde zu unserem Vergnügen zu benutzen? Und was meint sie mit dem Titel »Pferden Freiheit schenken«? »Freiheit ist ein unglaublich machtvolles Wort. Ein Wort, das tiefe Sehnsüchte in uns allen weckt und eine unbändige Kraft in sich birgt. ... Für mich selbst bedeutet Freiheit vor allem auch, ein selbst bestimmtes Leben führen zu können. Frei zu sein heißt, eine Wahl zu haben. Wer möchte ich sein, wo möchte ich leben, was möchte ich tun und mit wem möchte ich meine Zeit verbringen. Und genau das ist es auch, was ich mir für Pferde wünsche.«
Nun formte sich in Andrea eine Vision: die Kombination einer veganen Frühstückspension mit einer naturnahen Pferdehaltung. Doch auch hier würde es Zäune geben... Andrea kamen Zweifel. »Ich habe mich in diesem Augenblick gefragt, ob überhaupt irgendwo eine Haltung von Pferden für mich ausreichend sein würde.« Denn eigentlich wünschte sie sich, dass es keine Zäune gäbe und dass die Pferde frei wären. Würde sie ihren Traum wieder loslassen müssen?
Bei einem Spaziergang entdeckte Andrea eine Herde von zehn Pferden auf einer Koppel inmitten einer schönen Landschaft: »Zwei stabile Unterstände, zwei Heuraufen, ansonsten nur Wiese, weiter Blick und frische Luft für die Pferde.« Andrea stellte sich an den Zaun und immer mehr Pferde kamen neugierig zu ihr. »Mir wurde in diesem Moment bewusst, wie sehr ich mich in meinem eigenen Perfektionismus verrannt hatte, dass es eine perfekte Haltungsform nicht geben kann, denn nichts auf dieser Welt ist perfekt«, schreibt sie. »Immer, wenn ich bei meinen Spaziergängen in dieser Zeit Pferde draußen in einer Offenstallhaltung stehen sah, ging mein Augenmerk nur darauf, was dort meiner Ansicht nach nicht gut genug ist.«
Aber nun begann sie zu begreifen, dass sie sich doch einfach mal darüber freuen könnte, die Pferde dort stehen zu sehen. »Denn viel zu viele Pferde stehen weiterhin allein in ihren engen Boxen und dieser Haltungsform gilt meine eigentliche Kritik. Diesen Pferden sollte ich meine Aufmerksamkeit zuwenden, denn dort findet hinter den verschlossenen Stalltüren wirkliches Leiden statt, dass ich immer wieder mit eigenen Augen angesehen und wahrgenommen hatte.«