Was Fische wissen
und völlig unterschätzen Verwandten
Buchvorstellung von Julia Brunke, Redaktion Freiheit für Tiere
Unter allen Wirbeltieren - dazu zählen Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische - wecken Fische die wenigsten Gefühle in uns. Da sie keinen erkennbaren Gesichtsausdruck zeigen, uns stumm erscheinen, sind sie uns fremd. Dass Fische viel mehr können, wissen und empfinden als ihnen allgemein zugetraut wird, zeigt der Verhaltensforscher Jonathan Balcombe in seinem Buch Was Fische wissen : Fische besitzen ein Bewusstsein. Sind zu Empfindungen fähig, sie fühlen Schmerzen, sie haben Emotionen. Fische haben ein ausgeprägtes Sozialverhalten, sie kommunizieren miteinander und sie schließen Freundschaften. Fische lernen durch Beobachtung, werden also besser in dem was sie tun, indem sie andere Fische beobachten und sie benutzen sogar Werkzeuge. Und: Fische erkennen die Gesichter von Menschen wieder.
Hinter dem Wort Fisch steckt in Wahrheit eine grandiose Vielfalt von über 33.000 Arten - das sind mehr als alle Säugetiere, Vögel, Reptilien und Amphibien zusammen.
Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass neue Erkenntnisse über die Biologie und das Verhalten der Fische ans Licht kommen. Der Verhaltensforscher Jonathan Balcombe stellt in Was Fische wissen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, berichtet aber auch von Begegnungen zwischen Mensch und Fisch, die einen Eindruck davon vermitteln, welche Fähigkeiten in diesen Tieren schlummern, die noch nicht wissenschaftlich erkundet sind, aber doch zu einem gründlicheren Nachdenken über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier anregen.
Seine Hypothese lautet: Fische sind Individuen, deren Leben einen Eigenwert besitzt - unabhängig vom Nutzwert, den sie für uns etwa als Quelle für Profit oder als Mittel zur Unterhaltung haben mögen. Denn die Sichtweise des Umweltschutzes, der die übermäßige Ausbeutung der Fischbestände anprangert, legitimiere die Ausbeutung an sich und das Wort Bestände setze Tiere zu einer Ware, vergleichbar mit Weizen, herab, deren einziger Zweck die Versorgung des Menschen ist.
Was Fische sehen
Abgesehen von den fehlenden Lidern ähneln die Augen der Fische unseren eigenen. Die meisten Fische können mehr Farben unterscheiden als wir Menschen. Einige Fischarten sehen und nutzen das für uns außerhalb des sichtbaren Spektrums liegende UV-Licht - Buntbarsche, Stichlinge und Guppys etwa. Andere Arten nehmen polarisiertes Licht wahr. Haiaugen haben hinter der Netzhaut eine reflektierende Zellschicht. Damit sieht der Hai bei schlechten Lichtverhältnissen und nachts doppelt so gut. Manche Fische nutzen eine Vielfalt optischer Techniken, um Feinden zu entkommen. So nutzen zum Beispiel Blaue Sonnenbarsche im ruhigen Wasser die Wasseroberfläche über sich als Spiegel, um den räuberischen Hecht im Auge zu behalten, der auf der anderen Seite eines Felsens lauert.
Einige Fische können sich auf vielfältige Weise durch ihre Körperfarben ausdrücken. Neben der Identifikation der Art vermitteln Farben den Artgenossen außerdem Informationen zu Geschlecht, Alter, Fortpflanzungsstatus und Stimmung. Manche Fische wie Schollen, Flötenfische und die meisten bunten Korallenfische steuern ihre Färbung bemerkenswert genau: Sie können ihre Schönheit nicht nur hochfahren, um einen potenziellen Partner anzulocken oder Rivalen einzuschüchtern, sondern auch abschwächen, um einen aggressiven Rivalen zu besänftigen oder von einem Räuber unentdeckt zu bleiben.
Sind Fische stumm?
Eine weit verbreitete Annahme ist, dass Fische stumm sind, weil wir sie nicht hören können. Doch haben Sie schon einmal versucht, unter Wasser zu sprechen? Dann werden Sie gemerkt haben, dass Stimmbänder hier wenig weiterhelfen. Fische kommunizieren untereinander auf viele Arten - und sie verfügen über mehr Möglichkeiten zum Erzeugen von Tönen als jede andere Wirbeltiergruppe, erfahren wir in Was Fische wissen .
Wasser leitet Schallwellen hervorragend. Fische nutzen den Schall sowohl zur Orientierung als auch zur Kommunikation. Die meisten Fische erzeugen Töne mit der Schwimmblase, sie lassen sie vibrieren oder reiben sie an benachbarten Organen. Einige Arten produzieren sie mit den Zähnen oder den Gräten.
Dank ihres vielseitigen akustischen Repertoires bringen Fische eine wahre Symphonie der Geräusche hervor , so der Autor. Da sich unsere Ohren während der Evolution auf die Verarbeitung von Luft- und nicht von Wasserschwingungen spezialisiert haben, waren wir bis vor Kurzem taub für die meisten Fischgeräusche. Erst im vergangenen Jahrhundert wurde die Liste der akustisch aktiven Fische dank verbesserter Technologien zur Erkennung von Unterwassergeräuschen allmählich länger.
Übrigens haben Fische neben Geräuschen noch weitere Kommunikationskanäle, darunter Geruchsstoffe: Beispielsweise verbreiten Fische, wenn sie Angst haben, Stoffe, durch die Artgenossen schnell wissen, dass Gefahr droht.
Können Fische hören?
Noch bis in die 1930er Jahre glaubten Wissenschaftler, Fische seien taub, vermutlich, weil sie kein äußeres Hörorgan haben. Sie brauchen aber auch keine äußeren Ohren, weil Wasser ein so guter Schallleiter ist. Fische hören über kleine, hinter den Augen liegende, flüssigkeitsgefüllte Röhrchen, die ganz ähnlich dem Innenohr der Landwirbeltiere funktionieren.
Doch wegen dieses empfindlichen Gehörs leiden Fische unter menschengemachtem Unterwasserlärm: So erleiden die empfindlichen Haarzellen, mit denen der innere Gehörapparat ausgekleidet ist, durch die intensiven niederfrequenten Geräusche der Druckluftkanonen, die bei der Suche nach Ölfeldern unter dem Meer eingesetzt werden, ernste Schäden , erklärt Jonathan Balcombe.
Ein weiterer Beleg für das gute Gehör von Fischen ist ihre Fähigkeit, Tonfolgen von einander zu unterscheiden, besonders Musik, wie eine Studie von Forschern der Universität Harvard mit Kois zeigte: Demnach können Kois mehrstimmige Musikstücke sowie Melodiebögen von einander unterscheiden und sogar Musik nach ihrem Genre einordnen - so wurde gezeigt, dass die Fische nicht nur Blues von Klassik unterscheiden, sondern sogar Beethoven von Schubert.
Können Fische riechen?
Die Fähigkeiten zur Wahrnehmung von Geruch und Geschmack sind unter den meisten Fischarten hoch entwickelt. So ist der Geruchssinn der Haie rund zehntausendmal feiner als der des Menschen.
Manche Fischarten können Artgenossen allein anhand des Geruchs erkennen. Der Amerikanische Aal kann in einem olympischen Becken noch das Äquivalent von weniger als einem 10-Millionstel-Tropfen seines heimatlichen Wassers wahrnehmen. Aale unternehmen weite Wanderungen zu bestimmten Laichplätzen und folgen subtilen Geruchsspuren, um dorthin zu gelangen, erläutert Jonathan Balcombe.
Wir haben bereits gehört, dass Fische auch über Duftstoffe mit einander kommunizieren. Ihren extrem guten Geruchssinn nutzen Fische auch bei der Suche nach Nahrung und beim Erkennen von Gefahr. So können beispielsweise Lachse den Geruch von Seehunden oder Seelöwen in 80-milliardenfacher Verdünnung wahrnehmen. Außerdem produzieren Fische einen chemischen Alarmstoff , der Artgenossen vor Gefahren warnt, zum Beispiel wenn sich ein Raubfisch oder ein Fischer nähert.
Wie orientieren sich Fische?
Fische können sich hervorragend orientieren und sie nutzen unterschiedliche Methoden, um auf kurzen und auf weiten Strecken den richtigen Weg zu finden: Höhlenfische spüren von Hindernissen reflektierte Turbulenzen im Wasser. Schwertfische, Papageifische und Rotlachse nutzen die Sonne als Kompass.
Lachse besitzen ein natürliches GPS, so dass sie noch nach Jahren im offenen Meer zu ihrem Heimatfluss zurückfinden, um dort zu laichen. Lachse, aber auch andere Langstreckenwanderer wie Haie, Aale und Thunfische nutzen das Magnetfeld der Erde als Navigationshilfe. Das geschieht auf molekularer Ebene , erklärt Jonathan Balcombe. Einzelne Zellen mit eingeschlossenen mikroskopisch kleinen Magnetitkristallen arbeiten wie Kompassnadeln.
Außerdem setzen Fische zur Orientierung auch ihren außerordentlichen Geruchssinn ein, indem sie zum Beispiel der spezifischen Duftsignatur ihres Heimatgewässers folgen.
Fische sind neben wenigen anderen Tieren wie Bienen die einzigen Lebewesen auf dieser Erde, die über Elektrorezeption verfügen. Das ist die biologische Fähigkeit, natürliche elektrische Reize wahrzunehmen. So können Fische beispielsweise feststellen, dass sich auf der anderen Seite eines Hindernisses etwas befindet, ohne davon etwas zu sehen oder zu hören. Das System ist so empfindlich, dass allein der Herzschlag eines Fischs, der sich fünfzehn Zentimeter tief unter dem Sand versteckt, ausreichen kann, einem hungrigen Hai oder Wels seine Gegenwart zu verraten , so der Verhaltensforscher.
Kollektive Entscheidungen
werden demokratisch geschlossen: »Eine Gemeinsamkeit, die wir in Tiergruppen von Fischschwärmen über Vogelschwärme bis hin zu Primatengruppen beobachten können, besteht darin, dass sie im Endeffekt darüber abstimmen, wohin sie ziehen und was sie tun möchten«, sagt der Evolutionsbiologe Iain Couzin von der Universität Princeton. · Bild: aquapix - Fotolia.com
Wie intelligent sind Fische?
Tiere sind Meister darin, die Aufgaben zu bewältigen, die die Natur ihnen stellt. Da die Natur Tiere vor andere Aufgaben stellt als uns Menschen, sind die Fähigkeiten von Tieren und Menschen nicht direkt vergleichbar. Wir können nicht so gut klettern wie Schimpansen, nicht so schnell sprinten wie Geparden und wir haben auch kein eingebautes GPS wie Zugvögel oder Fische. Jonathan Balcombe weist darauf hin, dass das Gleiche auch für geistige Fähigkeiten gilt: Wenn die Natur einem Lebewesen eine Denkaufgabe stellt, deren Lösung ihm einen großen Vorteil bringt, dann kann es mit der Zeit die Fähigkeit zu kognitiven Leistungen erlangen, die wir ihm nur deshalb nicht zugetraut hätten, weil es so klein oder nur entfernt mit uns verwandt ist.
Ein Beispiel für die Intelligenz von Fischen wurde bei einer Grundelart nachgewiesen, die in den Gezeitenzonen beiderseits des Atlantiks lebt. Wenn das Wasser sich zurückzieht, bleiben die Grundeln gern in Gezeitentümpeln. Hier droht natürlich Gefahr vor Räubern. Wie löst eine Grundel das Problem? Wenn ein Reiher auf Futtersuche vorbeikommt, springt sie zielsicher in einen benachbarten Tümpel. Wie macht sie das und wie vermeidet sie, auf einem Stein zu landen? Die Grundel prägt sich, indem sie bei Flut darüber hinwegschwimmt, die Landschaft der Gezeitenzone ein: die Anordnung der Vertiefungen, die später bei Ebbe zu Tümpeln zwischen den Felsen werden. Dies ist ein Beispiel für das Anlegen kognitiver Karten.
Forscher haben nachgewiesen, dass sich Fische an lange zurückliegende Ereignisse erinnern und dass sie bei gestellten Aufgaben lernen. So erinnern sich Fische auch ein Jahr später exakt an Farben, wie in einem Experiment gezeigt wurde, in dem es Futterröhren mit nur leicht abweichenden Farbnuancen gab.
Bei Stachelrochen wurde in Experimenten gezeigt, dass sie beim Problemlösen nicht nur lernen, sondern auch innovativ sein können: So verwenden sie Werkzeuge als Hilfsmittel, um an Futter zu gelangen.
Auch der Anker-Zahnlippfisch verwendet Werkzeuge: Er gräbt eine im Sand verborgene Muschel aus, indem er sie mit einem Wasserstrahl freispritzt, nimmt sie in den Mund, trägt sie zu einem Stein und schlägt die Muschel dagegen, bis die knackt.
Lange nahm man an, dass Werkzeuggebrauch dem Menschen vorbehalten sei, und erst in den letzten Jahren haben Wissenschaftler begonnen, dieses Verhalten auch bei anderen Tieren als nur bei Säugern und Vögeln wahrzunehmen , schreibt der Verhaltensforscher. Dass aber ein Fisch solche kognitiven Leistungen vollbringt, rüttelte an der noch immer weit verbreiteten Annahme, dass Fische im Intelligenzspektrum der Tiere eher den unteren Bereich bevölkern.
In einem Experiment übertrafen Putzerfische in von Menschen entwickelten Raum-Zeit-Rätseln sogar die Leistungen von Primaten. Die Forscher ließen sechs ausgewachsene Putzerfische gegen acht Kapuzineräffchen, vier Orang-Utans und vier Schimpansen antreten. Das Ergebnis: Alle Putzerfische benötigten durchschnittlich fünfundvierzig Versuche, die Denkaufgabe zu lösen - durch Lernen durch Erfahrung. Dagegen lösten nur zwei von vier Schimpansen die Aufgabe in weniger als hundert Versuchen (nämlich in sechzig bzw. siebzig). Den bei den anderen Schimpansen sowie allen Orang-Utans und Kapuzineräffchen gelang es gar nicht.
Jonathan Balcombe kommt zu dem Schluss: Fische, die bei einer Denkaufgabe Primaten übertreffen, erinnern uns erneut daran, dass Gehirngröße, Körpergröße, Fell- oder Schuppenkleid und Nachbarschaft im Stammbaum der Evolution recht wackelige Anhaltspunkte für den Grad der Intelligenz sind. Sie zeigen außerdem, wie vielfältig und kontextbezogen Intelligenz sein kann und dass sie keine allgemeine Eigenschaft ist, sondern vielmehr aus einer Reihe von Fähigkeiten in unterschiedlichen Dimensionen besteht.
Haben Fische Gefühle?
Gefühle hängen eng mit Hormonen zusammen - also mit Stoffen, die in unseren Drüsen produziert werden und sowohl unsere physiologischen Vorgänge als auch unser Verhalten steuern. Es ist bekannt, dass das Gehirn von Knochenfischen und Säugetieren auf nahezu identische Weise Hormonbotschaften aussendet - die so genannte neuroendokrine Antwort. Das lässt den Schluss zu, dass sich diese Botschaften im Reich des Bewussten und der Gefühle ähnlich äußern.
Forscher haben beispielsweise herausgefunden, dass das als Kuschelhormon bekannte Oxytocin nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Fischen das Verhalten in unterschiedlichen sozialen Situationen steuert. Dies wurde unter anderem bei Buntbarschen nachgewiesen. Buntbarsche sind überaus soziale Fische, die ihre Jungen gemeinsam aufziehen und eine enger verbundene, stabile Gruppe bilden.
Und wie wir Menschen produzieren Fische bei Stress das Hormon Cortisol. In Was Fische wissen wird dazu folgendes Experiment beschrieben: Längsstreifen-Borstenzahndoktorfische wurden dreißig Minuten lang in einen Eimer mit Wasser gesperrt, das gerade tief genug war, um ihren Körper zu bedecken. Diese Behandlung erhöhte deutlich den Cortisolgehalt des Bluts - ein untrügliches Anzeichen für Stress. Anschließend setzten die Forscher die Fische in ein Aquarium, in dem es ein detailgetreues Modell eines Putzerfisches gab. Putzerfische sind Riffbewohner, die andere Fischen, darunter Doktorfische, von Parasiten, Hautverunreinigungen und abgestorbenen Hautteilen befreien. In der einen Gruppe war das Putzerfisch-Modell unbeweglich, in der anderen Gruppe war es mit einer Mechanik ausgestattet, die eine sanfte Fächelbewegung ermöglichte. Die gestressten Doktorfische schwammen sofort zu dem beweglichen Putzerfisch-Modell, schmiegten sich Seite an Seite an ihn. Das taten sie aber nur bei dem Modell, das sie streicheln konnte. Ergebnis: Das Streicheln des Modells führte zum Stressabbau, bestätigt durch Messung der Cortisolwerte.
Der Versuch lässt wichtige Schlussfolgerungen über das Sozialleben der Fische und ihr Streben nach Lebensqualität zu , erklärt Jonathan Balcombe. Er stützt die These, dass in erster Linie der Genuss die Fische dazu motiviert, Putzerfische aufzusuchen, denn obwohl die beweglichen Modelle weder Parasiten noch sonst etwas entfernten, schwammen die Doktorfische mehrfach zu ihnen.
Sind Fische zärtlich?
Fische haben wie wir Menschen einen Tastsinn und sind offenbar echte Genießer: Fische berühren einander häufig zum Vergnügen , lesen wir in Was Fische denken . Viele reiben sich aneinander oder knabbern sanft am anderen, wenn sie balzen. Putzerfische verschaffen sich die Gunst ihrer geschätzten Kunden, indem sie sie mit der Flosse streicheln.
Diese Zärtlichkeiten tauschen Fische nicht nur untereinander aus: Fische, die in Aquarien leben, lassen sich gerne von Menschen streicheln und drehen sich von einer Seite auf die andere - ganz wie Hunde oder Schweine es tun. Und auch freilebende Fische kommen auf ihnen vertraute Taucher zu, um sich streicheln und unterm Kinn kraulen zu lassen: Heute kann man sich Videos ansehen, in denen Fische mit Tauchern herumtoben und in manchen Fällen auch schmusen wie eine Hauskatze.
Können Fische Schmerzen empfinden?
Wer Genuss, zum Beispiel bei Berührungen, empfinden kann, kann auch Schmerzen empfinden. Das sollte man jedenfalls annehmen. Immer noch sind viele Menschen der Meinung, Fische würden keine Schmerzen fühlen - besonders Angler behaupten dies gerne. Schließlich schreien Fische nicht, oder?
Doch inzwischen haben Wissenschaftler nachgewiesen: Fische können tatsächlich Schmerzen empfinden! Sie besitzen wie wir Menschen Nervenzellen, die für das Schmerzempfinden zuständig sind und ein Zentralnervensystem haben, in dem die Schmerzsignale verarbeitet werden können.
Experimente zum Schmerzempfinden von Fischen zeigten, dass Fische auf Schmerz reagieren - und dies nicht nur reflexartig -und dass Schmerzmittel die Empfindlichkeit von Fischen beispielsweise gegen Elektroschocks lindert.
Jonathan Balcombe berichtet in seinem Buch von einem Experiment zur Erforschung von Schmerzen bei Fischen: Zebrafärblinge hatten in ihrem Aquarium einen gestalteten Bereich mit Pflanzen, in dem sie sich gerne aufhielten, und eine karge Kammer, die sie mieden. In dem Experiment wurde den Fischen Essigsäure injiziert, was Schmerzen verursacht. Wurde im Wasser der kargen Kammer ein Schmerzmittel gelöst, schwammen die Fische, denen die Säure injiziert worden war, in diese unattraktive Kammer.
Die Belege dafür, dass Fische Schmerz empfinden, wiegen heute so schwer, dass auch hoch angesehene Institutionen diese Ansicht vertreten , erklärt der Verhaltensforscher und zitiert die American Veterinary Medical Association, in deren Richtlinien für Tiereuthanasie aus dem Jahr 2013 steht:
Behauptungen, wonach Schmerzreaktionen bei Fischen lediglich simple Reflexe darstellen, sind durch Studien widerlegt worden, in denen als Reaktion auf Reizungen elektrische Impulse in Vorder- und Mittelhirn nachgewiesen werden konnten, welche sich je nach Art der Nozizeptorreizung unterschieden. Lernerfolge und Gedächtniskonsolidierung in Versuchen, bei denen Fische darauf trainiert werden, schädliche Reize zu meiden, haben die Erforschung der Wahrnehmung und des Empfindungsvermögens von Fischen so weit vorangebracht, dass der überwiegende Teil der akkumulierten Erkenntnisse für die Position spricht, dass Fischen die gleiche Rücksichtnahme zuerkannt werden muss wie landlebenden Wirbeltieren, wenn es um Schmerzlinderung geht.
Fischerei: Billionenfache qualvolle Tötung
Jonathan Balcombe macht deutlich: Die Frage, ob Fische Schmerz empfinden ist von größter Bedeutung - führen Sie sich nur die astronomischen Zahlen der von Menschen getöteten Fische vor Augen.
Es gibt kaum Zahlen, wie viele Fische jedes Jahr gefangen werden. Abgesehen davon kann man sich diese Zahlen gar nicht vorstellen: Rund 100 Millionen Tonnen Fisch holt die Fischereiindustrie jedes Jahr aus dem Wasser. Wissenschaftler schätzen, dass umgerechnet die Anzahl der getöteten Fische zwischen 1 und 2,7 Billionen liegt - jedes Jahr! Allein Sportfischer ziehen weltweit schätzungsweise 47 Milliarden Fische pro Jahr an Land, schreibt Jonathan Balcombe.
Ganz gleich, welche Schätzung man heran zieht, solch schwindelerregende Zahlen verschleiern oft die Tatsache, dass jeder Fisch ein einzigartiges Individuum ist, das nicht nur biologische, sondern auch biografische Eigenschaften besitzt , so der Verhaltensforscher. Er erklärt, dass Fische keinen schönen Tod sterben: Die häufigsten Todesursachen bei kommerziell gefangenen Fischen seien Ersticken durch Entnahme aus dem Wasser, Dekompression durch den Druckunterschied beim Hinaufziehen an die Oberfläche, Erdrücktwerden unter dem Gewicht Tausender anderer, die in den riesigen Netzen an Bord gehievt werden, und Ausweidung, sobald der Fang an Bord ist.
Den Fischen eine Stimme geben
Tausende Bücher sind über Fische geschrieben worden, ihre Vielfalt, ihre Ökologie, ihre Fruchtbarkeit, ihre Überlebensstrategien. Und sicher lassen sich einige Regale füllen mit Büchern und Zeitschriften darüber, wie man Fische fängt. Doch bis heute ist kein Buch im Namen der Fische geschrieben worden , so Jonathan Balcombe. Mein Buch hat zum Ziel, den Fischen auf eine Weise eine Stimme zu geben, wie es bislang nicht möglich gewesen ist. Dank verschiedener Durchbrüche in der Verhaltensforschung, Soziobiologie, Neurobiologie und Ökologie können wir heute besser als je zuvor verstehen, wie die Welt in den Augen der Fische aussieht, wie Fische die Welt sehen, fühlen und erfahren.
Der Autor
Jonathan Balcombe, geboren 1959 in Südengland, aufgewachsen in Neuseeland und Kanada, lebt seit 1987 in den USA. Der promovierte Verhaltensbiologe hat über 50 wissenschaftliche Arbeiten über das Verhalten von Tieren und Tierschutz sowie verschiedene Bücher zum Thema verfasst und ist ein gefragter Experte für das Empfindungsvermögen von Tieren. |