Wie werde ich ein guter Rudelführer?
Jochen Stadler und seine Flat-Coated-Retriever-Hündin Kleo sind seit fünf Jahren ein eingespieltes Team. Als begeisterter Hundebesitzer begann sich der Biologe und Wissenschaftsjournalist auch beruflich seinem Herzensthema zu widmen. Vor allem, um Kritik zu üben: an der Berichterstattung über Hundebisse und an den Debatten über Hundehaltung. Zuerst schrieb Stadler einen Artikel - nun wurde daraus ein Buch: Guter Hund, böser Hund. Wegweiser für Rudelführer .
Der Biologe erklärt in seinem Buch, wie wir die Signale von Hunden richtig deuten und so unsere Verantwortung wahrnehmen lernen. Ausgangspunkt waren für Jochen Stadler zwei Vorfälle aus seiner Heimat Österreich, in denen Kleinkinder von einem Hund angegriffen und getötet wurden: Mein Hund ist nicht aggressiv, mein Hund ist nicht böse , sagte die Frau, deren Rottweiler gerade ein Kleinkind in den Kopf gebissen hatte, schildert er einen Fall zu Beginn seines Buchs. Es folgten plakative Schlagzeilen und politische Entscheidungen wie Maulkorbzwang. Und es wurde quasi reflexartig ein Verbot für bestimmte Rassen wie Dobermänner, Pitbulls und Rottweiler gefordert.
»Wissenschaftler haben aber längst gezeigt, dass es böse "Kampfhunde" genauso wenig wie "Zuschnellfahrautos" gibt«, erklärt der Autor. Beißen ist keine Rassefrage. Zuschnappen kann jeder Hund, genauso wie jeder Autofahrer einen Menschen totfahren könnte.
Kurz darauf ging eine neue Meldung zum Thema Hund beißt Kleinkind durch die Presse. Diesmal war der Täter ein Dackel. Der Hundehalter hatte seinen Dackel auf der Außenterrasse eines Lokals frei herumlaufen lassen, so dass der Hund andere Gäste anbettelte und unter einem Tisch etwas Essbares fand. Dort krabbelte aber auch ein zweijähriges Mädchen namens Olivia umher. »Der Dackel verteidigte wohl sein gefundenes Fressen gegen das Kleinkind und fügte ihr tiefe Fleischwunden im Gesicht zu, dass sie ins Wiener Allgemeine Krankenhaus gebracht und in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt wurde«, berichtet Jochen Stadler. Er erklärt, dass in diesem Fall zwei erwachsene Zweibeiner einen massiven Fehler machten: »Ein argloser Hundebesitzer ließ seinen Dackel, der zwar klein, aber ein waschechter Jagdhund ist, frei herumlaufen, obwohl das Gesetz an solchen öffentlichen Orten Leine und Maulkorb für jeden Hund vorschreibt. Arglose Eltern ließen ihr Kleinkind unter dem Tisch krabbeln, achteten entweder nicht darauf, dass da auch ein Hund war, oder dachten sich nichts dabei.« Einer wissenschaftlichen Untersuchung der Universität Graz zufolge kommt es übrigens bei Dackeln, Schnauzern, Pekinesen oder Spitzen und vor allem Schäferhunden wesentlich häufiger zu Bissattacken wie bei Rottweilern oder »Kampfhunden«.
Schnell wird klar, dass vor allem die Menschen verantwortlich für aggressives Hundeverhalten sind: Hunde senden normalerweise klare Signale, die zeigen, in welcher Stimmung sie sind und was sie als Nächstes vorhaben. Einen Menschen zu verletzen, ist für jedes Tier hoch riskant und der allerletzte Ausweg, wenn es nicht mehr weiter weiß und all sein Flehen und Warnen ungehört verhallt ist. Viele Menschen haben es aber nie gelernt, die Warnsignale der Hunde zu erkennen, die einem Biss vorausgehen. Im Umgang mit Hunden braucht es also Menschen, die diese Signale deuten können und sich selbst dementsprechend verhalten.
Jochen Stadler erklärt, dass auch wir Zweibeiner unser Verhalten gegenüber den Haustieren anpassen müssen, um Gefahrensituationen zu vermeiden und das Zusammenleben zu vereinfachen. Die Reaktionen der Tiere werden dabei durch die Verhaltensforschung beleuchtet und Erklärungen zu den Signalen gegeben, die ein Hund - lange bevor er zubeißt - gibt. Diese Signale sollten jedoch nicht nur Hundebesitzer kennen, erklärt Jochen Stadler. Jeder - und besonders auch Kinder - sollten den Umgang mit fremden Hunden erlernen.
Was läuft also schief zwischen Menschen und Hunden? Ein Beispiel: Viele Menschen begrüßen den Hund nach Primatenart. Sie gehen auf ihn zu, rufen ihn, schauen ihm direkt in die Augen. Im schlimmsten Fall umarmen sie ihn dann auch noch. »Dabei braucht man nur Hunden untereinander bei der Begrüßung zuzusehen. Sie machen zuerst einen Bogen umeinander, vermeiden direkten Blickkontakt, beschnüffeln sich vorsichtig«, erklärt der Biologe. »Hunde und Menschen haben eine ganz andere Willkommenskultur.«
Tiere kommunizieren untereinander sehr eindeutig. Wenn ihnen etwas missfällt, wenn also beispielsweise ihr Revier verletzt wird oder sie Schmerzen zugefügt bekommen, warnen sie eindringlich. Jeder Tierarzt, erklärt Jochen Stadler, kennt die zehn entsprechenden Eskalationsstufen bei Hunden. Erst bei Stufe 10 beißt der Hund, denn er ist gewöhnlich sehr geduldig und möchte eigentlich eine solche Attacke vermeiden.
Hunde versuchen zum Beispiel, dem Menschen zu verstehen zu geben: Ich bin dir freundlich gesinnt, aber diese Situation ist unangenehm für mich. Dazu wenden sie zum Beispiel den Kopf ab. »Auch Schwanzwedeln gepaart mit einem ängstlichen Blick ist eine Bitte um Verschonung«, erklärt Jochen Stadler. Manchmal schüttelt sich der Hund und versucht damit in gewisser Weise seinen Stress abzuwerfen. Ein weiteres Beschwichtigungssignal ist ein Erstarren, um keinen Konflikt durch eine möglicherweise falsch interpretierte Bewegung hinaufzubeschwören. Auch ein nervöses über die Schnauze Lecken zeigt Unsicherheit. In vielen Hunde-Kinder-Begegnungen sind solche Körpersprache-Zeichen des Hundes zu beobachten. Nach vielen weiteren Stufen kommt irgendwann eine Warnung des Hundes, er grummelt, zeigt dem Kind die Zähne und knurrt. Dies wird ihm häufig verboten, denn viele Leute sind der Meinung, Hunde dürfen Menschen nicht anknurren. Dem Hund bleibt nichts anderes übrig, als die Situation weiterhin leidend über sich ergehen zu lassen. Wenn der Hund den Besitzer so deutlich warnt, ist dies ein Zeichen, dass eine Unzahl an vorangegangenen Signalen übergangen wurde und man als Mensch mehr als einen Fehler gemacht hat.
Hundehalter wissen in der Regel nichts von alledem. Sie interpretieren ihren Hund oft völlig falsch, was das Tier dann zu einer neuen Eskalationsstufe zwingt. Leider werden sie dabei auch noch von gewissen »Experten« unterstützt. Hier kommt der Autor nicht umhin, so genannte Hundeflüsterer und ihre Fixierung auf Dominanzgebaren des Menschen gegenüber dem Hund zu kritisieren.
Auf der anderen Seite gibt es auch Menschen, die ihrem Hund keine Grenzen setzen und alles durchgehen lassen. Doch wie Kinder, denen man keine Grenzen setzt, ein Problem mit ihrer Umwelt haben, fällt es auch Hunden schwer, sich zurechtzufinden, wenn sie keine Grenzen kennengelernt haben. »Der Hund muss verstehen, was er soll und was er darf. Wenn er das nicht konsequent vermittelt bekommt, wird er unsicher und lotet es aus. Grenzen zu setzen, hat nichts mit Dominanzgetue zu tun«, erklärt Jochen Stadler.
Der Biologe plädiert für die Bildung der Hundehalter, nicht für Strafen und empfiehlt einen freundlichen und respektvollen Umgang mit Hunden, was ganz selbstverständlich das Erlernen ihrer eigentlich völlig einfachen Kommunikation beinhaltet.
Dazu umfasst sein Buch alles, was man über Hundeverhalten und Hundeerziehung wissen muss für ein spannungsfreies und auf Respekt beruhendes Verhältnis von Mensch und Hund:
- Einblicke in die Tierpsychologie: Wie Sie unsichere, ängstliche oder aggressive Hunde beruhigen und trainieren können.
- Die Körpersprache des Hundes: Was die Signale bedeuten und wie Sie mit Ihrer eigenen Körpersprache antworten können.
- Bringen Sie Ihrem Hund Befehle bei: Alltagstraining für Hunde und Menschen.
- Es gibt keine Problemhunde: Wie Sie mit dem richtigen Hundetraining jede Begegnung zwischen Hunden oder Hund und Mensch zu einem freudigen Ereignis machen.