Interview mit Prof. Winkelmayer: »Jede schrittweise Verbesserung für die Tiere ist ein Fortschritt«
Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer ist einer der Initiatoren des Volksbegehrens für eine Reform der Jagdgesetzgebung in Österreich - und er ist einer der Unterzeichner des Offenen Briefs, in dem 35 Prominente aus Gesellschaft und Wissenschaft an Bundesumweltministerin Steffi Lemke appellieren, die Einfuhr von Jagdtrophäen bedrohter und geschützter Tierarten nach Deutschland zu unterbinden. FREIHEIT FÜR TIERE sprach mit dem ehemaligen Jäger über seine Beweggründe.
Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer
(rechts im Bild) als Redner bei der Verleihung des diesjährigen Peter Singer-Preises an Dr. Dr. Martin Balluch, Obmann des Vereins gegen Tierfabriken VGT, (links im Bild) für seine Verdienste im Bereich Tierschutz und für sein erfolgreiches Engagement zur Tierleidminderung. · Bild: Rudolf Winkelmayer
FREIHEIT FÜR TIERE: Herr Prof. Winkelmayer, Sie haben in Österreich das »Volksbegehren für ein Bundesjagdgesetz« gemeinsam mit anderen Fachleuten aus Tierschutz, Naturschutz, Artenschutz, zahlreichen Tier- und Naturschutzorganisationen und dem ökologischen Jagdverband initiiert. Was ist das Ziel?
Rudolf Winkelmayer: Das vorrangige Ziel ist, die Jagd, so weit wie möglich, tierschutzgerecht und ökologisch vertretbar zu machen. Derzeit werden nämlich bei der Jagd dieselben Tiere in verschiedenen Bundesländern verschieden behandelt. So gibt es z.B. verschiedene Schonzeiten für dieselben Tierarten, verschiedene Vorschriften zum Aussetzen von Tieren für die Jagd und verschiedene Regelungen der Gatterjagd. Zusätzlich hat die konventionelle Jagd in weiten Bereichen kaum Bezug zu Ökologie und Tierschutz, wie man z.B. an der Trophäenjagd sieht, der vielerorts fast alles geopfert wird. Deshalb haben wir uns zusammengefunden, um ein neues, bundeseinheitliches Jagdgesetz zu fordern, das auf den Säulen Ökologie und Tierschutz basiert. Die Tiere sollen wesentlich strenger geschützt werden als bisher.
»Ich habe mir die Frage gestellt, welche Tötung - wenn überhaupt - ethisch rechtfertigbar sein könnte«
FREIHEIT FÜR TIERE: Sie waren selbst seit Ihrer Jugend Jäger, im Landesjagdverband aktiv und haben als praktischer Tierarzt, Amtstierarzt und Lebensmittelwissenschaftler zahlreiche Bücher und Artikel über Jagdethik und Wildbrethygiene geschrieben sowie Vorträge vor Jägern gehalten. Vor etwa 15 Jahren hörten Sie mit der Jagd auf. Wie kam es dazu?
Rudolf Winkelmayer: Ich war mit der Tötung von Tieren in drei Bereichen konfrontiert: bei der Jagd, bei amtstierärztlichen Kontrollen an Schlachthöfen und bei der Euthanasie von Lieblingstieren wie Hunden und Katzen in meiner Tierarztpraxis. Ich habe mir die Frage gestellt, welche Tötung - wenn überhaupt - ethisch rechtfertigbar sein könnte. Die Antworten darauf habe ich in der Folge in der Philosophie, insbesondere in der Tierethik, gesucht und gefunden, mit der ich mich nunmehr seit über zwanzig Jahren intensiv beschäftige.
Ich konnte rasch erkennen, dass die meisten Philosophen darin übereinstimmen, dass der Tod ein Schaden ist, nämlich der größtmögliche Schaden, der - von wenigen Ausnahmen wie etwa dem Einschläfern von unheilbar kranken oder schwer verletzten Tieren abgesehen - einem empfindungsfähigen Lebewesen zugefügt werden kann. Man sollte daher selbst so wenige Tötungen wie möglich verursachen.
Mit dieser Erkenntnis und mit dem bewussten Zulassen von Empathie anderen Lebewesen gegenüber war rasch klar, dass für mich selbst die Jagdausübung nicht mehr in Frage kam - und ab diesem Zeitpunkt auch die weitere Konsequenz eine vegane Lebensweise war.
»Es haben sich viele vernünftige, empathiefähige Jäger begeistert an uns gewendet«
FREIHEIT FÜR TIERE: Moderne Jägerinnen und Jäger und allen voran der Ökologische Jagdverband können die Forderungen des Volksbegehrens unterschreiben. Denn Kritik an Gatterjagden, dem Aussetzen von Fasanen zum Abschießen oder Bleimunition kommt auch aus der Jägerschaft selbst.
Den traditionellen Hobbyjägern und -jägerinnen dagegen brennt der Filzhut: Sie fürchten um ihre Privilegien und die Einschränkung der »Jagdfreuden«. Der Landesjagdverband der Steiermark hat sogar seine Mitglieder gewarnt, Anfragen von Medien zu beantworten oder Interviews zu geben, denn jede unüberlegte Aussage eines Jägers könne das Volksbegehren noch befeuern. Der österreichische Jagdverband hat Medienprofis für »professionelles Krisenmanagement« engagiert.
Rudolf Winkelmayer: Ja, die offizielle Jagd hat offensichtlich einen gehörigen Schrecken abbekommen und versucht nun, anstatt auf eine sachliche Diskussion einzugehen, mit Schönreden, Standardsätzen über Regionalität und einfache Verwaltung sowie Greenwashing vom eigentlichen Thema, nämlich unseren 14 Forderungen, abzulenken. Wie wenn Tierschutz und ökologische Vernunft Bundeslandesgrenzen bräuchten. Die zweifellos vorhandenen großen regionalen Unterschiede können sich ja nur auf naturräumliche Aspekte beziehen, nicht auf Bundeslandgrenzen, die mit naturräumlichen Grenzen nichts zu tun haben. Die regionalen Gegebenheiten können daher in einer bundesweiten Regelung, die für ganz Österreich die für die jeweiligen Naturräume passenden Regelungen trifft, wesentlich besser abgebildet werden.
Es gibt auf der anderen Seite aber auch viele vernünftige, empathiefähige Jäger, die sich begeistert an uns gewendet haben, weil ihnen bewusst ist, dass die Jagd, so sie zukunftsfähig sein will, über grundlegende Reformen nicht hinwegkommt. Das verdeutlicht auch eine aktuelle Umfrage zur Einstellung der Menschen zur Jagd: Demnach hat sich die kritiklose Zustimmung zur Jagd seit 2015 von 42 Prozent auf 27 Prozent reduziert. (Quelle: Jagdzeitschrift »Der Anblick«, Heft 6/2023)
»Wir haben die Forderungen bewusst pragmatisch gehalten«
FREIHEIT FÜR TIERE: Für Tierschützerinnen und Tierschützer und Vertreterinnen und Vertreter von Tierrechten ist die Reform der Jagdgesetzgebung, die mit dem Volksbegehren angestoßen wird, ein Kompromiss: Denn sie lehnen das Töten von Tieren als Hobby ab. In Ihrem aktuellen Buch »Ein Beitrag zur Jagd- und Wildtier-Ethik« kommen Sie zu dem Schluss, nur eine »Ultima Ratio-Jagd« sei ethisch gerechtfertigt: aus Notwehr, wenn jemand von einem Wildtier ernsthaft angegriffen wird, aus Gründen des Notstands, wenn wir versehentlich ein Wildtier schwer verletzt haben oder wenn es das Wohl des betroffenen Wildtieres gebietet, weil es große Schmerzen hat. - So weit gehen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen mit dem Volksbegehren aber nicht?
Rudolf Winkelmayer: Das ist richtig. Die 14 Forderungen, die wir aufgestellt haben, wurden von einem mehr als zwanzigköpfigen Expertenteam ausgearbeitet und sind bewusst pragmatisch gehalten, um eine realistische Chance auf Umsetzung zu haben, wobei zu betonen ist, dass deren Umsetzung einen gewaltigen Fortschritt gegenüber dem derzeitigen Zustand bedeuten wird.
Ich mache aber kein Hehl daraus, dass meine persönlichen Vorstellungen noch deutlich weiter gehen. Doch wie in anderen Tierschutz- und Tierrechtsfragen auch, ist jede schrittweise, substanzielle Verbesserung für die Tiere ein Fortschritt.
»Bloße Trophäenjagd ist ja eigentlich ein grotesker Anachronismus«
FREIHEIT FÜR TIERE: Sie sind einer von 35 Wissenschaftlern, Wissenschaftlerinnen und Prominenten, die sich mit einem Offenen Brief an die deutsche Bundesumweltministerin Steffi Lemke gewendet haben mit dem Appell, umgehend die Einfuhr von Jagdtrophäen bedrohter und geschützter Tierarten nach Deutschland zu unterbinden. Was Tier- und Artenschutz angeht, sind also nicht nur in Österreich »dicke Bretter zu bohren«?
Rudolf Winkelmayer: Das stimmt, das sind Probleme, die am besten EU-weit bzw. international gelöst werden sollten. Bloße Trophäenjagd ist ja eigentlich ein grotesker Anachronismus, der besser heute als morgen abzustellen ist, weil er Tier- und Artenschutz diametral gegenübersteht, auch wenn manche Jäger nicht müde werden, die Jagd als »angewandten Naturschutz« zu bezeichnen. Den schlüssigen, validen Beweis dafür, dass das als allgemeine Behauptung so gelten könne, sind sie bis heute schuldig geblieben. Zeitgemäße Jagd muss den gesamtgesellschaftlichen Interessen dienen und ökologisch-tierschutzgerecht erfolgen. Das tut die reine Trophäenjagd nicht.
»Die uns angeborene Empathie unseren Mitlebewesen gegenüber nicht unterdrücken, sondern kultivieren«
FREIHEIT FÜR TIERE: Was möchten Sie den Leserinnen und Lesern von »Freiheit für Tiere« noch sagen?
Rudolf Winkelmayer: Ich möchte das sehr allgemein halten und nicht nur eingeschränkt auf die Jagd verstanden wissen. Ich bitte Sie daher, ihre natürliche, uns angeborene Empathie nichtmenschlichen Tieren, unseren Mitlebewesen gegenüber, nicht zu unterdrücken, sondern zuzulassen und zu kultivieren.
Die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse, vor allem aus den Bereichen Evolutions-, Kognitions- und Verhaltensbiologie sowie der Tierethik zwingen uns - bei intellektueller Redlichkeit - ohnehin dazu, Tiere heute ganz anders zu sehen als noch vor einigen Jahrzehnten. Wir haben ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse gewaltig unterschätzt und ihnen damit sehr unrecht getan. Das sollten wir schleunigst ändern.
Für die Leserinnen und Leser von FREIHEIT FÜTR TIERE ist das ohnehin längst klar, aber wir sollten uns gemeinsam bemühen, diese Gedanken vor allem durch Vorbildwirkung in die Gesellschaft, in unser persönliches Umfeld, hineinzutragen!
Das Gespräch mit Prof. Winkelmayer führte Julia Brunke, Redaktion FREIHEIT FÜR TIERE.
Mit seinem aktuellen Buch: »Ein Beitrag zur Jagd- und Wildtier-Ethik« (erschienen im Sternath-Verlag) wendet sich Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer an seine ehemaligen Jagdkollegen und an die nicht jagende Bevölkerung und macht deutlich: »Töten als Freizeitvergnügen ist ethisch nicht vertretbar«. Informationen: www.winkelmayer.at
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